Übereilt

Mal angenomm', du hast 'n Kiosk, und da kleben schon morgens so zwei bis siebzehn Berber an deine Luke, und das passiert 'n paar Tage hinternander, denn kannst deine Bude man gleich verscherbeln oder absengeln, wenn sich das versicherungsmäßig lohnt. Also, da wär das aus mit meine Kundschaft ausse bessere Kreise wie zun Beispiel Herr Studienrat Arnold oder Herr Dr. Raffler. Wie gesagt, heute morgen, ich leg grade de Illu-Packen auffen Tresen, da seh ich, wie sich vier schräge Vögel ranpirschen. Sehn aus, als wenn se nichtmal als Hinz-und-Kunzt-Verditscher Karriere machen könnten, also, wie aussen Gully gezogen. Ich lang schon nach mein' CS-Spray, da guck ich inne Tüpen ihre Gesichter – und denk, mir platzt de Pupille, denn der erste Tüp in diese fleckige Parka, also, das ist, so wahr ich Kalle heiß, unsen Ersten Bürgermeister! Der zweite, ich mach das mal kurz, Herr Wrocklage, der dritte matürlich Herr Mirow, der Stadtabwicklungssenator, der vierte denn, der als einzigster 'ne Krawatte um' Hals: Herr von Beust, vonne sogenannte Konkurrenz. ,Mann', denk ich, ,die wolln in diesen Aufzug da auf aufmerksam machen, wie schlecht se mit ihre Diäten dastehn und daß 'ne Erhöhung unbedingt fällig ist! Oder se wollen in diesen Autfit ihre Fühler in Richtung RANDGRUPPEN ausstrecken. Immerhin sind das ja auch Wähler, und dies Potenzial wird immer größer.' Und ich guck schon nachen RTL-Tiem, das diese Äktschen an Film' ist. War aber keiner. Und nu steht der Bürgermeister auch schon vor meine Luke und sagt in seine vornehme Art, also bischen durche Nase: „Guten Tag, mein Lieber, können Sie uns vielleicht sagen, wo wir hier...ja...echte Nichtseßhafte finden?“ „Da bring' Sie mich wirklich in Verlegenheit“, sag ich, „denn die von unter de Kersten-Miles-Brücke bewirtschaften nu 'n Öko-Bauernhof, und die andern habn sich von ihre Hinz-und-Kunzt-Profite Eigentumswohnung' angezahlt und arbeiten alle bei ,Hades', das ist de Agentur für Schattenwirtschaft, als Konkursberater...aber was wolln Sie denn von diese Brüder?“ Und Herr Voscherau: daß seine Partei für den Wahlkampf den Slogän „Davon versteh ich was“ hat. Damit ist sein Einsatz für de sozial Schwachen gemeint. Dafür braucht er aber ein' authentischen Hintergrund. Und Herr von Beust: „Und wir bringen mein Foto mit dem Satz ,Auch um DIESE kümmern wir uns', wo natürlich auch ein spezieller Background benötigt wird.“ „Ja“, sag ich nu, „das hätten Sie sich früher überlegen müssen, meine Herrn, aber nachdem Sie die Taubenvergiftungsaktion und anschließend die Abschiebung der Berber nach Schleswig-Holstein durchgezogen haben, finden Sie wohl nix.“ „Wir brauchen diese...Menschen doch nur ein paar Tage, sozusagen als Statisten für die Plakate!“ sagt der Bürgermeister. Und Herr von Beust: „Wir haben selbstverständlich eine Vergütung vorgesehen, außerdem dürfen sie im nächsten Film von Detlev Buck ebenfalls als Ber... als Randständige auftreten.“ „Denn nehm' Sie doch 'n paar Studenten ausse Jobberzentrale und schminken sie 'n bischen zurecht, und so groß ist der Unterschied zu de Penner sowieso nicht...“, sag ich, aber da komm' de Herrn inne Höhe: „Glauben Sie denn, wir wollen unseren Wählern etwas vorgaukeln?“