Vulkankrise 1982: Hennemann, der harte Sanierer

■ Wie die Bremer CDU eine staatliche Werftpolitik im Interesse der Arbeitsplätze fordert und der SPD-Wirtschafts-Senatsdirektor Friedrich Hennemann dagegen auf unternehmerische Rationalität setzt

1981: Werftenkrise. 1981: Vulkan pleite. 1982: Wieder staatliche Millionen zur Rettung erforderlich. 1982: Keine kostendeckenden Aufträge bekommen. 1982: Fusionskonzept soll Zukunft der Werft- arbeitsplätze sichern. 1982: Rettet das Bundesverteidigungs- ministerium mit Rüstungsaufträgen Bremer Arbeitsplätze?

Wie sich die Worthülsen doch gleichen! In ihren Umrissen scheint das Werftenproblem sich in den vergangenen 15 Jahren nicht geändert zu haben. Und schlauer geworden ist offenbar auch niemand. Während Bremen 1988 auf die Hoffnung setzte, in einem technologischen Mischkonzern die Werften auffangen zu können (vgl. taz vom 19.10.), war in der Werftenkrise 1981/3 die Idee eines bremischen Werftenverbundes der Rettungsanker. Damals ging es im Kern um AG Weser und Vulkan, realisiert wurde die Verbund-Idee erst, nachdem der Krupp-Konzern 1983 die AG-„Weser“ Bremen vor die Füße geworfen hatte – ohne sie.

Das, was dem Vulkan-Chef Friedrich Hennemann heute vorgeworfen wird - nämlich staatliches Engagement nur im Interesse der Erhaltung der Arbeitsplätze zu sehen - war damals über alle Parteigrenzen hinweg Konsens. Eifriger Verfechter der heute von der CDU als „VEB- und Sozi-Wirtschaft“ etikettierten Position: Der CDU-Vorsitzende und damalige Fraktionsvorsitzende Bernd Neumann. Höhepunkt der Bürgerschafts-Debatten war zweifellos die Sitzung am 29.2.1992. Einsamer Verfechter einer auf marktwirtschaftliche Rentabilität ausgerichteter Unternehmensführung damals: Senatsdirektor Dr. Friedrich Hennemann.

Die Protokolle der Bremischen Bürgerschaft werden vor dem Hintergrund der aktuellen Krise zu spannenden Dokumenten. K.W.

Am 28.10.81 schrieb der damalige Bundestagsabgeordnete Claus Grobecker, später Bremer Senator und Motor des Werftenverbundes, an Staatssekretär Obert (Bundesverteidigungsministerium):

„Um den Konkurs des Bremer Vulkan (Bilanz 1981) abzuwenden, schlage ich – vorbehaltlich einer späteren industriellen Lösung – vor, die restliche Summe von ca. 130 Millionen ... als bedingt rückzahlbaren Zuschuß einzustellen... Wenn dies nicht geschieht, hätte dies folgende Konsequenzen: erstens Konkurs des Bremer Vulkan zum 31.12.1981 mit dem Verlust von 4500 Arbeitsplätzen für die ohnenhin gebeutelte Unterweserregion, zweitens den sofortigen Stopp des Fregattenprogramms...“

Der Hintergrund: Der Vulkan hatte sich beim Fregattenbau und beim Luxusliner Europa gnadenlos verkalkuliert, die Bundesregierung Schmidt/Genscher sprang aber ein und überrnahm die Fregatten-Defizite. Das Land Bremen wurde damals Miteigentümer des Vulkan.

Der taktische Aspekt, das Interesse des Verteidigungsministerums an einer nationalen Werft-Kapazität zur Rettung von Bremer Arbeitsplätzen auszunutzen, führte den damaligen SPD-Abgeordneten, späteren Senator und heutigen Bundestagsabgeordneten Konrad Kunick (SPD) am 9.12.1981 zu einer zukunftsträchtigen Erkenntnis: „Noch einmal ganz deutlich: Das Land Bremen kann Verluste von Großwerften nicht tragen! Würde Bremen in die privatwirtschaftlich verantworteten Verluste eintreten oder Großwerften mit ihren Verlusten übernehmen, Herr Neumann, dann wäre das Land Bremen binnen kurzem in der Tat pleite!“ Bernd Neumann (CDU) war damals Oppostitionsführer, die SPD regierte allein.

Auf einer Pressekonferenz hatte Bürgermeister Hans Koschnick angedeutet, daß über eine Fusion bremischer Werften nachgedacht würde. Dadurch sollten Rationalisierungseffekte erreicht werden, vor allem aber sollten die staatlichen Hilfen und die Rüstungsaufträge auf weniger Schiffbau-Standorte konzentriert werden. Erhebliche Kapazitäten würden dabei also stillgelegt werden, Arbeitsplätze abgebaut, für die SPD ein heikles Thema...

Hans Koschnick am 9.12.81 vor der Bürgerschaft:

„Gäbe es diese Perspektive einer dauerhaften Sicherung (durch Fusion der Unterweser-Werften) nicht, dann könnte die Landesregierung nicht daran denken, irgendeinem Unternehmen vorübergehend mit öffentlichen Mitteln beizutreten. Dieses Signal habe ich gegenüber den Banken gegeben...“ Im Klartext: Die Banken wollten das Risiko allein nicht mehr tragen, der Staat übernimmt die finanzielle Absicherung.

CDU-Chef Bernd Neumann signalisiert am 12.5.82 in der Bürgerschaft grundsätzliche Zustimmung: „... ist es unsere Aufgabe, die Aufgabe des Senats wie auch die Aufgabe aller Fraktionen, das zu erreichen, was Nordrhein-Westfalen erreicht hat mit der Kohle, daß nämlich allen in Bonn klar ist, daß die Probleme der Werftindustrie nationale Probleme sind... Nur so haben wir überhaupt eine Chance, diese Arbeitsplätze zu erhalten. (...) In diesem Zusammenhang stellt sich bei der Diskussion über die Werftindustrie auch nicht mehr die Frage von Marktwirtschaft oder nicht Marktwirtschaft. ... Hier geht es nicht so sehr um Kapital und wer welche Gewinne macht. Ich sehe Schiffahrtspolitik bezogen auf Bremen in erster Linie darin, was alles getan werden kann, um die Arbeitsplätze zu erhalten. ( Beifall bei der CDU). Mir ist es völlig egal, welche Anteile und Gewinne Aktionäre machen, sondern entscheidend ist, daß Arbeitsplätze gehalten werden müssen.“

Hennemann, der knallharte Unternehmer-Typ

Alle möglichen Varianten von Fusion bei partiellen Schließungen wurden damals begutachtet und debattiert. Klar ist, daß nicht alle Schiffbauplätze und nicht alle Arbeitsplätze gehalten werden können. Aktuelles Sorgenkind damals: der Vulkan.

Aktuelle Stunde, Vulkan-Soforthilfe, Bürgerschaftssitzung vom 29.9.82. Der Vulkan-Vorstandsvorsitzende Henke hat Massenentlassungen angekündigt, noch bevor über ein Fusionskonzept entschieden ist. In einem Handelsblatt-Interview hatte Henke erklärt, im Aufsichtsrat habe es keine Kritik an dem Konzept gegeben.

In einem gemeinsamem Antrag haben sich Regierung (SPD) und Opposition (CDU und FDP) auf eine gemeinsame Position geeinigt: „Die Bremische Bürgerschaft verurteilt es, Entlassungen im Vorgriff auf ein Sanierungskonzept einzuleiten, ohne eine Zustimmung des Betriebsrates erreicht zu haben.“

Wedemeier: Der Vulkan bekommt keine Aufträge mehr

Klaus Wedemeier, damals Fraktionsvorsitzender der SPD: „Die Unfähigkeit des früheren Werftenvorstandes wird eigentlich jetzt erst so richtig deutlich. Die Herren haben nicht von Ideen gelebt, sondern haben von der Substanz und letztlich auch von Steuergeldern gelebt, denn ohne das Stützungsprogramm Bremens und des Bundes gäbe es diese Werft nicht mehr.“ Wedemeier zur Lage: „Der Bremer Vulkan hat seit einem Jahr, das sind keine Gehemnisse, die ich hier vortrage, keinen Auftrag mehr hereinnehmen können. Das hat Herr Dr. Henke (Vorstandsvorsitzender) den Betriebsratsmitgliedern mitgeteilt.“ Zu Henkes Presse-Ankündigung über die Entlassung von 500 Mitarbeitern und seiner Feststellung, daß im Aufsichtsrat „nicht die leiseste Andeutung einer Kritik an unseren Maßnahmen zum Ausdruck gebracht worden ist“, bemerkt Wedemeier: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß im Aufsichtsrat an dieser Methode keine Kritik geübt worden ist.“

In der Bürgerschaft wird die Frage gestellt, wie sich der Senatsvertreter im Aufsichtsrat, Hennemann, verhalten hat.

Wirtschaftssenator Karl Willms behauptet, ihm sei gesagt worden, daß „gerade eben Dr. Hennemann diese Maßnahmen, die zur Diskussion standen, kritisiert und problematisiert habe in der Sitzung des Aufsichtsrates...“

Hennemann: „Senat billigt Entlassungen“

Und dann Friedrich Hennemann, der morgens bei der Betriebsversammlung war. „Ich denke, daß ich keine fünf Minuten brauche“, sagt Hennemann einleitend, und nach sieben Minuten droht das Plenum im Chaos unterzugehen: Hennemann räumt, wenn auch erst nach aufdringlichen Nachfragen ein, daß er das Entlassungskonzept für richtig hält.

Und das kam nach dem offiziellen Protokoll so:

Hennemann: „Die Bemerkung (des Vorstandsvorsitzenden Henke, es sei „nicht die leiseste Andeutung einer Kritik an unseren Maßnahmen zum Ausdruck gebracht worden“, d. Red), ist nachweislich falsch. In den Medien ist berichtet worden, daß der Aufsichtsrat sogar eine Delegation der Arbeitnehmer empfangen hat, um dies zu diskutieren und zu beraten.“

Zwischenruf Axel Adamietz (BGL, heute FDP): „Was hat der Aufsichtsrat gesagt?“

Uwe Beckmeyer (SPD, heute Häfensenator): „Quatschen Sie nicht immer dazwischen.“

Hennemann weiter: „Herr Adamietz, ich bin darauf angesprochen worden, was ich dazu sage, daß im Aufsichtarts keine Kritik geübt worden ist...“

Zwischenruf Adamietz: „Und was haben Sie gesagt in der Beratung?“

Glocke des Präsidenten.

Herr Abgordneter Adamietz, es ist mir nicht bekannt, daß ich Ihnen das Wort erteilt habe.

Senatsdirektor Hennemann weiter: „Ich habe klarzumachen versucht, daß der Aufsichtsrat zu diesem Punkt versucht hat, sich alle Informationen zu holen. Den Arbeitnehmern ist auch mitgeteilt worden, daß diese Maßnahmen, die jetzt vorgetragen worden sind, nicht Bestandteil des Gutachtens (über erforderliche Fusionen im Werftbereich) oder dessen Ausfluß sind, sondern daß die Maßnahmen, die jetzt beim Vulkan beraten werden, eine Folge sind, weil das Unternehmen seit einem Jahr keine Aufträge herreinnehmen konnte. Der Vorstandsvorsitzende hat den Arbeitnehmern in meiner Gegenwart klargemacht, daß auch keine Aussicht besteht, dies in Zukunft zu erreichen, wenn die Kostenstruktur des Unternehmen nicht entscheidend verändert werden kann.“

Zwischenruf Abg. Neumann: „Sind Sie auch dieser Meinung?“

Hennemann: „Ich bin auch dieser Meinung.“

Neumann: „Also hat Henke doch recht!“

Hennemann: „Nein, ich bin der Meinung, daß die Kostenstruktur des Vulkan entscheidend verändert werden muß.“

Neumann: „Und das geht nur mit den Maßnahmen.“

Hennemann: „Nun warten Sie doch ab.“

Zwischenruf Wedemeier: „Und wer nicht dieser Meinung ist, der ist doch doof. Wenn Sie meinen, das ist nicht so, dann sind Sie wirklich dumm in der Angelegenheit!“

Neumann: „Sie sollten sich mäßigen, sonst werden Sie nie mehr, Herr Wedemeier!“

Präsident Klink: „Meine Damen und Herren, zunächst einmal möchte ich feststellen, das war alles im Konjunktiv, es braucht sich keiner beleidigt zu fühlen. Im Übrigen hat jetzt das Wort Herr Senatsdirektor Dr. Hennemann.“

Hennemann: „Ich möchte, um den Streit hier abzukürzen, sagen, Herr Neumann, daß diese Notwendigkeit nicht einmal von den Arbeitnehmern selbst bestritten wird. Ich komme, wie gesagt, aus einer Betriebsversammlung...“

Zwischenfrage Neumann: „Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß aufgrund der Veröffentlichungen (des Henke-Interviews, d. Red.) doch der berechtigte Eindruck entstehen muß, daß das, was Sie Veränderung der Kostenstrukturen eben genannt haben, in unmittelbarem Zusammenhang mit den Entlassungen steht?“

Hennemann: „Ja“.

Weiter Neumann, offensichtlich erregt und empört: „Wenn dies richtig ist, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in dem Interview, das wir heute früh zitiert haben, genau dies Herr Henke angesprochen und darauf gesagt hat, darauf gab es im Prinzip keinen Widerspruch und Sie dies eben bestätigt haben? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, meine Damen und Herren, und ich frage das ganze Haus, wenn dies alles so ist, daß ich nach dem, was Herr Willms nun hier gesagt hat, den Eindruck habe, als ob wir vergackeiert würden?“

Hennemann, unter Freunden auch Pokerface genannt: „Aber eine Frage haben Sie nicht gestellt.“

Im weiteren Verlauf der Debatte stellt Hennemann noch einmal klar: „Ich sage Ihnen noch einmal, mit der gegenwärtigen Kostenstruktur, und das ist der Auslöser, hat der Vulkan im Markt keine Chance. Das wissen die Leute und es geht darum, wie man dies ändert.“

Der grüne Peter Willers ist empört. „Senatsvertreter im Aufsichtsrat vom Vulkan billigt Entlassungen“ sei die Schlagzeile, unter der die Bild-Zeitung berichten müsse, sagt er.

Neumann formuliert als erster die Kehrtwende: „Ich finde es mutig, ich weiß nicht, was ihn bewogen hat, hierherzukommen und in einer solchen Debatte nicht zu kneifen“, und unter dem Druck von CDU und FDP stimmt Wedemeier für die SPD zu, daß der gemeinsam eingebrachte Antrag verändert wird. Nicht mehr der Protest der Bürgerschaft gegen angekündigte Entlassungen wird beschlossen, sondern praktisch das Gegenteil: „Die Bürgerschaft erwartet, daß zur Gesamtkostensenkung eventuell unvermeidliche Maßnahmen nicht ohne Einschaltung der Betriebsräte ... erfolgen.“

Grüne, SPD, CDU, FDP: Nichts ohne Zustimmung der Betriebsräte

Die Grundposition, daß nichts ohne die Zustimmung der Betriebsräte passieren darf, bleibt aber weiter die CDU-Position. Am 4.11.82 haken die Grünen nach und bringen einen Antrag ein, durch den die Aufsichtsräte des Landes Bremen an die Arbeitsplatz-Sicherung gebunden werden sollen. Das geht zwar rechtlich nicht, ist aber als politische Formel von grundsätzlicher Bedeutung. Die CDU ist einverstanden.

Der spätere CDU-Fraktionsvorsitzende Peter Kudella in der Debatte: „Den ersten Satz Ihres Antrages – die Bremische Bürgerschaft ist der Auffassung, daß die Freie Hansestadt Bremen in Unternehmen, an denen sie als Eignerin auch nur teilweise beteiligt ist, bei der Vertretung der Belange der bremischen Bevölkerung nicht nur für die Interessen des Unternehmens, sondern in ganz besonderer Weise auch im Hinblick auf die Notwendigkeit der Arbeitsplatzschaffung und –sicherung für die Interessen der Belegschaften einzutreten hat – könnten wir mit unterschreiben. So weit, so gut, so verstehen wir das auch.“

Am 22.3.1983 versichert der CDU-Fraktionsvorsitzende Neumann noch einmal, „daß wir alles tun wollen, um die Arbeitsplätze beim Bremer Vulkan und bei der AG Weser zu retten..“

Ende Mai 1983 legten die Vorstände von AG „Weser“ und Vulkan jeweils Konzepte für eine Fusion der beiden Werften vor, nach denen der jeweils andere Werftbetrieb weitgehend wegrationalisiert werden würde. „Vorschläge auf Kosten eines anderen kann jeder machen“, sagte Hans Koschnick dazu. Nach einem Gutachten der Treuarbeit haben beide Werften unter einer ganzen Reihe von Annahmen eine mittelfristige Chance bis 1985. Die Bundesregierung wertet dieses Gutachten so, daß es keine Chance gibt, auf den fusionierten Werften „auf dem Markt nachgefragte Schiffe zu wettbewerbsfähigen Bedingungen ohne Verluste“ zu produzieren, und versagt ihre Hilfe.

Zu der Fusion zwischen Vulkan und AG „Weser“ kommt es nicht, Ende des Jahres 1983 legt der Krupp-Konzern seine Werft, die AG „Weser“, still.