Die Sache mit dem Zigarettenholen

■ Waschlappen, Holde und Aggressive in Thomas Matschoß' „Stella“-Inszenierung am Ernst-Deutsch-Theater

Man hört solche Geschichten ja öfter: Da sagt jemand, er gehe mal eben Zigaretten holen und bleibt verschwunden. Fernando leistete sich diese unverfrorene Feigheit sogar zweimal. Erst verließ er Frau und Kind bei Nacht und Nebel, dann ließ er auch die Geliebte wortlos sitzen. Beide Frauen verstanden die Welt nicht mehr. Genauer gesagt: Beide wollten sie nicht mehr verstehen.

Goethes Drama von 1776 beginnt im späten Stadium der weiblichen Welt- und Selbstaufgabe. Cäcilie lebt bereits acht Jahre mit der nun 15jährigen Lucie ohne deren Vater, doch seit er fort ist, „mangelt sie sich selbst“. Stella, seit drei Jahren allein auf dem einst liebesnestigen Rittergut lebend, sieht gar keine Sonne mehr. Trotzdem zeigt die Inszenierung die Frauen im ersten Akt nicht nur als holde, sondern gar kicherige Wesen. Im zweiten Akt soll sich das ändern: Lucie will gerade in Stellas Dienste treten, als – der Zuschauer ahnte es von der ersten Minute an – Fernando wieder auf der Bildfläche erscheint.

Thomas Matschoß stellt bei seiner Inszenierung nicht das Problem der Dreiecksbeziehung, sondern das der blinden Liebe in den Vordergrund. Die allerdings ist so blind, daß sie weniger tragisch als lächerlich wirkt. „Da bist wieder da!“, leuchtet Stella (ganz die kindliche Liebende: Iris Radunz), als Fernando (als Objekt der Begierde nicht erkennbar: Harald Maack) vor der Tür steht. Man hätte doch zumindest ein süffisantes „Gab's deine Zigaretten am Automaten nicht, Schatz?“ erwartet.

Fernando ist kein Doppelcasa-nova, kein von der Liebe Zerissener, sondern schlicht ein Waschlappen. Allein Maria Wolf vermag ihrer Figur eine Aggressivität zu geben, die uns Cäcilie heute nahebringt. „Ich bin nicht deine Frau“, verbessert sie Fernando bitter, aber selbstbewußt. Gleichzeitig gehört ihr ins Mikrophon am Bühnenrand gehauchtes „Den heutigen Tag überlebe ich nicht“ zu den ergreifendsten Momenten des Abends.

Trotz des mäßigen Konflikts ist Stella eine gute Inszenierung. Sechs Schauspieler erzählen in modernen Kostümen auf fast leerer Bühne (Christine Grimm/Matschoß) eine Geschichte, die kaum interessiert und die man doch verfolgen möchte. Das Mikrophon dient dem Spiel mit Nähe und Ferne: Einerseits betont es, etwa wenn die Akte angesagt werden, den distanzierenden Erzählcharakter; andererseits schafft es beim Aussprechen einzelner Sätze ein Klima bedrängender Intimität, da jedes Atemstocken hörbar wird.

Großer Erfolg wird Stella wohl nicht vergönnt sein: Dem gesetzten Ernst Deutsch Theater-Publikum war sie zu reduziert, und für das Anlocken neuer, jüngerer Zuschauer ist sie nicht spektakulär genug. Schade. Christiane Kühl