„Guck mal, da ist ja...!“

■ Die Deutsche Phonoakademie verlieh am Samstag 22 „Echo-Awards“, damit wir endlich musikmäßig international richtig wichtig sind

„Für drei Stunden wird Hamburg Musikwelthauptstadt“, hatten die Presseagenturen angekündigt, und wahrlich: Von allen deutschen Städten war Hamburg prädestiniert, die Herausforderung der 6. Echo-Verleihung anzunehmen. Einmal mehr stellte das CCH unter Beweis, daß seine Initialen unzweifelhaft für Charmantestes Curhotel der Hemisphäre stehen. Gleichwohl gab sich die Deutsche Phonoakademie alle erdenkliche Mühe, diesen Eindruck mit vielen bunten Glühbirnen und einer Nebelmaschine zu verstärken - sollte doch alles ganz international sein bei der 2,5 Millionen Mark teuren Verleihung des „Oscars der deutschen Musik“.

Dementsprechend waren alle auch „ganz aufgeregt“bzw. „so excited“, nicht nur die Auszeichnung entgegenzunehmen, sondern auch, sie überreichen zu dürfen. Dieses internationale Excitement wäre aber – sieht man von telegenen Motiven ab – gar nicht vonnöten gewesen. Schließlich hatten wir es mit Profis zu tun, und dementsprechend war alles bis ins Detail durchgeplant. Kann doch kein Zufall gewesen sein, daß der Echo für Eros Ramazotti von Nadine Tschanz überreicht wurde, die immerhin, wie Moderator Axel Bulthaupt sich beeilte zu betonen, nicht nur aus demselben norddeutschen Landkreis wie er stammt, sondern auch schon nackend im Playboy abgebildet war.

Alle hatten sich was ganz Witziges oder Tiefsinniges für ihre Präsentation überlegt: Katharina Witt metapherte bei der Ehrung von Peter Maffay, daß das Musikgeschäft eine Eislaufbahn sei, und Johannes Kerner wußte, daß man sich auch in die Charts dribbeln muß. Durch Geschichtskenntnis glänzte hingegen Enigma-Kopf Michael Cretu (selbst als „erfolgreichster nationaler Künstler im Ausland“durch Marusha geehrt), als er Frank Farian bei der Überreichung des Echos für sein Lebenswerk den „erfolgreichsten Produzenten der Neuzeit“nannte. Was noch zu kurz gegriffen scheint, wo Farian doch schon Boney M.'s „By the Rivers of Babylon“produzierte.

Den Vogel der Überreichungspeinlichkeiten schoß aber fraglos Klaus Doldinger ab, als er doch glatt vergaß, daß er den Echo für „die beste Jazzproduktion des Jahres“an Al di Meola weiterreichen sollte. Er hatte nämlich gerade „Hallo Udo!“im Parkett gesichtet, was ihn dann „so ans letzte Jahr erinnert, wo ich hier mit Preisen überhäuft wurde.“Da ahnte man, was Ingrid Steeger gemeint hatte, als sie von der Künstler „Narrenfreiheit, das sie zu nutzen wissen“hauchte. Das Klimbim-Faktotum ehrte als „beste Comedy-Produktion des Jahres“im übrigen eine Klamaukleiche eben ihres verblichenen Jahrgangs: Otto Waalkes. Ihn wird man nominiert haben, weil sein Witz von 1977 so gut paßte: „Hallo Echo!“rief er in den Saal, und prompt schallte es „Hallo Otto!“wieder heraus.

Talking about being outdated dürfen Die Toten Hosen nicht unerwähnt bleiben. Gleich zwei Echos heimsten sie ein: für „den nationalen Videoclip des Jahres“(zu „Zehn kleine Jägermeister“- den Zeichner des Trickvideos vergaß man leider zu erwähnen) und für „die erfolgreichste nationale Gruppe in der Kategorie Rock/Pop“. Darüber hinaus aber zeichneten sie sich selbst mit ihrer zur Schau gestellten Anti-Konsum/Echo/etc.-Haltung als spätpubertärste Band des Jahres aus. Wohlig ehrlich empfand man da die Kastelruther Spatzen, „erfolgreichste Gruppe der Kategorie volkstümliche Musik“: „Wir wissen, daß wir von Vielen belächelt, Einigen gehaßt, aber ... von Millionen geliebt werden. Danke an ein Super-Team!“

Drei Stunden dauerte die Musikhäppchen–Show. Es eröffneten die Fugees, es sülzten die für jeden zweiten Echo nominierten, aber am Ende leer ausgehenden Tic Tac Toe, und auch viele nicht nominierte grandiose Gruppen wie Aero-smith und N'Sync durften ein Liedlein vor dem 1. Bürgermeister zum Besten geben. Wer nicht kommen konnte, ließ per Video grüßen. Die Plattenfirma und die Fans, die zum nächsten Konzert kommen sollen.

„Hier geht es ja nur ums Business“, analysierte ein Vertreter der Kulturbehörde scharf. Da begannen aber schon Sarah Brightman und Andrea Bocelli mit Tränen in den Augen, ihre allein in Deutschland 2,5 millionenmal verkaufte Single „Time To Say Good-Bye“zu beten. Wenn das nicht thematisch ausgeklügelt war, diesen Hit ans Ende zu setzen. Er wurde vom Publikum derart für bare Münze genommen, daß es den Saal verließ, ohne daß das angekündigte „Finale mit allen Preisträgern und Paten“stattfand. Und somit wirde auch der Herr von der Kulturbehörde widerlegt: Worum es in Wahrheit ging, war das Buffet. Und das war dann auch klasse.

Christiane Kühl

Ein Zusammenschnitt der Echo-Verleihung wird heute um 20.15 Uhr in der ARD gesendet