Bewußter Spagat

■ Trotz aller Experimente stecken die 30-40jährigen Frauen in der Babyfalle

Was die Generation der heute 30-40 jährigen Frauen mit der ihrer Mütter verbindet – und was sie trennt –, hat ein Forschungsprojekt an der Bremer Universität untersucht. Über die Ergebnisse einer vergleichenden Studie (*) sprach die taz mit der Soziologin Gudrun Braemer.

Wie hat die Generation der Mütter, also der von Euch befragten rund 70jährigen Rentnerinnen, ihre Töchter ins Leben geschickt?

Mit eindeutigen Botschaften. Aus eigenen, oft bitteren Erfahrungen stammt der Rat, daß es sehr wichtig ist, eigenes Geld zu verdienen. Auch haben viele Töchter die Herkunftsfamilie nicht als Vorbild für eigene Lebensentwürfe gesehen. In den Interviews wird die Abhängigkeit der Mütter von deren Männern besonders kritisiert. Diese Organisation von Partnerschaft will die heutige Töchtergeneration grundsätzlich nicht widerholen.

Gibt es so etwas wie einen Vorwurf der Töchtergeneration an die Müttergeneration?

Eigentlich nicht. Wir haben sowohl Facharbeiterinnen als auch Akademikerinnen befragt. Die sehen vor allem, daß strukturelle Hindernisse die Müttergeneration eingeschränkt haben. Weniger deren eigenes Tun. Da fallen dann Sätze wie „das war damals so“. Die Töchter wissen ja auch, daß die Mütter eigentlich viel mehr wollten. Ausbildung zum Beispiel – oder Beruf. Deshalb haben sie eigene Bildungs-Chancen genutzt, wo es sie gab.

Wie leben die 30-jährigen Töchter mit der Bürde, daß aus ihnen mehr werden soll?

In den meisten Fällen, da wo die Töchter eine Ausbildung gemacht haben, gut. Sie haben die Freiräume genutzt – mit WG-Erfahrungen, Beziehungen ohne Trauschein und so weiter. Ein problematischer Knackpunkt kommt beim ersten Kind, wenn sich viele der jungen Frauen plötzlich in der Situation der Mütter wiederfinden. Obwohl sie Arbeit und Familie verbinden wollten, finden sie keine Teilzeitstellen. Auch die Schulsituation der Kinder schränkt dabei ein. Da fällt die dritte und vierte Stunde aus – und schon wird es schwierig. Nach wie vor sind es ja die Frauen, die ihre Erwerbsarbeit für die Kindererziehung unterbrechen.

Ist es für die Töchtergeneration nicht extrem schwierig, sich in dieser Situation wiederzufinden?

Ja. Sie haben ja zumeist versucht, ihr Leben individuell anders als die Mütter zu planen.

Wie leben diese Frauen damit, daß sich wenig verbessert hat – in Anbetracht von Frauenarmut, Frauenerwerbslosigkeit und nach wie vor begrenztem Aufstiegserfolg?

Die Frauen machen den Spagat. Aber den machen sie bewußt, wenn sie auf Kinder und Familie nicht verzichten wollen. Sie wissen, daß der Preis für Kind und Familie sehr hoch ist.

Wie sieht die Müttergeneration das?

Die stützt die Tochter soviel sie kann, springt für die Enkel ein und erledigt viele kleine Dienstleistungen.

Das klingt aber nicht wie die kreative Lösung einer gesellschaftlichen Schieflage.

Kreativ ist das alles weiß Gott nicht. Es ist eine individuelle Balanceleistung. Interessant ist dabei die weibliche Unterstützerinnenlinie aus Müttern, Töchtern, Cousinen oder Freundinnen. Besser verdienende Frauen greifen auf die Putzfrau zurück.

Hat die Töchtergeneration im historischen Vergleich andere Strategien entwickelt, um sich durchzusetzen?

Die junge Generation ist selbstverständlicher erwerbstätig. Die Norm, daß verheiratete Frauen nicht erwerbstätig zu sein haben, gibt es nicht mehr. Das galt ja noch für die Müttergeneration.

Anders als ihre Mütter können die Töchter frei entscheiden, ob sie überhaupt Kinder haben wollen....

Diese Entscheidung betrifft meist den Aufschub beim Kinderkriegen. Kinder selbst haben für Frauen einen hohen Stellenwert, das zeigt jedenfalls unsere Untersuchung.

Was macht das Verhältnis der 40jährigen zur Müttergeneration aus?

Große Gelasssenheit. Junge Frauen sind heute stärker gebildet und durchschauen damit auch die Strukturen besser. Sie erkennen, wo die Mütter gewisse Möglichkeiten einfach nicht hatten. Die junge Frau heute hat mehr experimentiert, handelt Partnerschaften regelrecht aus – und probiert. Da ist aus der Ablehnung „so nicht“mittlerweile ein „wie jetzt?“geworden. Dafür gab es genug Möglichkeiten. Die jetzt 40jährigen sind die ersten, die diese Freiheiten hatten und genutzt haben.

Sind die Mütter darauf nicht manchmal neidisch?

Eher traurig. Im übrigen sehen die Mütter, daß es auch für die Töchtergeneration noch genug Probleme gibt. Die Lebensverläufe von jungen Frauen sind faktisch wieder näher an der der Müttergeneration – mit Erziehung und Hausarbeit und zusätzlicher Teilzeiterwerbstätigkeit. Und Partnerschaft soll dann auch noch gelebt werden. Insofern besteht für Gefühle wie Neid ja wenig Anlaß.

Wie kommen denn die Väter und Männer dabei weg?

Die Alt-Männergeneration ist sehr patriarchal, hat mit Haus- und Kinderarbeit nichts im Sinn. Höchstens gab es da sporadische Hilfe, um die erwerbstätige Ehefrau zu entlasten. Und vor diesem Hintergrund ist es für junge Männer heute natürlich leicht, wie Phönix aus der Asche zu steigen.

Die Eltern der heute 40jährigen sind im Nationalsozialismus groß geworden. Wie wertet die Töchtergeneration die Folgen davon?

Darauf haben wir in den Interviews keinen Schwerpunkt gelegt. Aber viele haben das Anti-Autoritäre ein Stück gelebt, den Ausbruch zu Hause, sie haben sich politisch engagiert.

Ihr habt Töchter von Frauen befragt, die schon in den 50ern einen Beruf gelernt hatten. Gehen diese Töchter anders ins Leben?

Ja. Sie haben offenbar einen Vorsprung im Vergleich zu Frauen, deren Mütter nicht berufstätig waren. Das läßt sich über die Interviews gut belegen. Die Töchter dieser Mütter haben gesehen, daß Familienleben und Beruf vereinbar sind. Töchter von haustätigen Müttern haben da ganz andere Probleme.

Kurios. Denn die Müttergeneration hatte doch vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 70ern viel bessere Chancen zum „Wiedereinstieg“– anders als die heutige Töchtergeneration nach der Babyphase.

Ja. Aber es geht ums prinzipiell Machbare, darum, wohin die Töchter schauen, um sich zu orientieren. Viele Töchter erinnern erstaunliche Details über die Mütter und deren Arbeit – und deren Erschöpfung.

Lebt die Töchtergeneration eigentlich im Bewußtsein, sich einen Teil ihrer Freiheiten selbst erkämpft zu haben?

Soweit es die neuen Lebensformen betrifft, ist das schon so. Da wissen die meisten Frauen, daß sie das durchgekämpft haben – die Ehe ohne Trauschein fast schon als Normalzustand. Oder die Wohngemeinschaften. Und das unabhängige Leben zwischen dem Verlassen der eigenen Familie bis zur Familiengründung.

Was hat sich in Bezug zum Materiellen geändert – im Mutter-Tochter-Vergleich?

Man lebt heute pragmatischer. Geheiratet wird, wenn es sich lohnt, oder wenn die Absicherung wegen der Kindererziehung nötig ist.

Sind die Frauen pfiffiger geworden?

Ob man soweit gehen kann.... Wir stellen vielmehr eine große Ambivalenz fest. Für den Wunsch nach einem Kind wird viel in Kauf genommen. Sehenden Auges.

Ist die Wissenschaftlerin über diese Erkenntnisse auch schockiert?

Manchmal schon. Vielleicht sollte ich sagen: Schockiert, traurig und wütend über diese Grenzen, die Frauen nicht individuell überschreiten können. In Diskussionen vertreten junge Frauen oft den Standpunkt, daß sie dann auf Kinder verzichten wollen. Aber das ist kein gesellschaftlich akzeptabler Weg. Kindererziehung müßte anders honoriert werden.

Fragen: Eva Rhode

(*) befragt wurden 27 Frauen der Töchtergeneration zwischen 30 und 40 Jahren