■ Nachschlag: Thomas Jonigk inszenierte seinen „Rottweiler“ in der Volksbühne
Muttertag in der Volksbühne. Töchterschlachten im 3. Stock. Von Rottweilern keine Spur. Im 3. Stock der Volksbühne erklärte das Theater Affekt „das Theaterjahr 1997 für eröffnet“, und alle
kamen, zu sehen und zu staunen – über Thomas Jonigks Regiedebüt. Der Dramaturg des Off-Theater-Luxusliners inszenierte „Rottweiler“ von Thomas Jonigk. Vermutlich konnte der Nachwuchsdramatiker des Jahres 1995 kein besseres Stück finden. Doch „die sich
halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade“ (Die Bibel, Buch Jona).
Die Bühne von Birgit Remuss: ein Hundezwinger auf schwarzem Kies. Oder ein Laufstall für Bestien. Doch darin nur Papiertiger. Trägereinheiten eines überschraubten Theaterjargons der vernichtend-vernichteten Ich-Botschaften. Die Mutter, die Tochter, der Bekannte. Die lebenslange Nazisse und Worttotschlägerin, die am Abgrund vollkommenen Verschwindens taumelnde Tochter, der Mickermann mit seinem Traum vom kannenweise strömenden Samen. Wohnküchendrama mit Naziseligkeit, Mutter-Tochter-Trauma, Inzesterinnerungen, Gewalt- und Omnipotenzphantasien, eben dem gängigen Dekor des verfehlten Lebens, dessen Belebung den Zuschauern Unterhaltung, Amusement, Erschrecken erbringen soll – durchs Dunkle zum Licht.
Eine „hintergründige Untersuchung“ der „monströsen Normalität“ versprach die Ankündigung für den Abend, der dann doch nur die wundervolle Cornelia Schmaus aufbot, um der Furcht des Autors vor einer spielerischen Schlittenfahrt mit seinem Text zu begegnen. Hoheitsvoll einhersegelnd in einem sagenhaften blauen Samtkostümungeheuer, zauberte sie von der Etepetete-Großbürgerin bis zur selbstmitleidigen Plattenbautyrannin ein grausiges Panoptikum von Muttertypen auf die Bühne. Ein Feuerwerk an Haltungen zwischen Eiseskälte und erotischer Verführungskunst. Und Kirsten Hartung als blöd-unterwürfige Tochter sowie Bernhard Bettermann als von seinen „hämmernden Hoden“ gequälter Bekannter müssen die Worte des Autor-Regisseurs illustrieren. Das tun sie rechtschaffen und eifrig. Doch Leben bringt allein Cornelia Schmaus in diesen Papier gewordenen Antijargon der Innerlichkeit. Eine Schmaus für Augen und Ohren. Nikolaus Merck
8. bis 10., 14. bis 17., 21. bis 25. März, 20.30 Uhr, Volksbühne, 3. Stock, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte
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