"Die Welt ist anders, aber die Welt ist da"

■ Ost und West, Arm und Reich, Subventionen und Ensemblespiel: Ein Gespräch mit dem Schauspieler Christian Grashof, der gestern am Deutschen Theater eine Premiere hatte - in Ibsens "Rosmersholm" s

taz: Christian Grashof, viele Ihrer Kollegen am Deutschen Theater beklagen, daß die Kommunikation zwischen Bühne und Publikum nicht mehr so funktioniert wie in den Jahren vor der Wende – daß der Funke nicht mehr wirklich überspringen will. Empfinden Sie das auch so?

Christian Grashof: Natürlich haben die Leute früher in manchen Stücken anders geguckt. Aber in West-Berlin haben sie früher auch schon anders geguckt. Wenn ich Theater spiele, muß ich mit dem Problem fertig werden, daß die Leute ins Theater kommen und sich amüsieren wollen. Ich würde davor warnen, zu pauschalisieren: Früher war das so, und heute ist das so.

Sie waren ja schon zu DDR- Zeiten einer der wenigen Schauspieler, die sowohl im Osten als auch an Theatern im Westen arbeiten konnten.

Ja, weil ich es wissen wollte. Aber damit bin ich nicht auf Gegenliebe gestoßen, weder bei Kollegen dort noch bei den Kollegen hier. Da dachte ich: Das muß doch jetzt alle ganz toll interessieren, daß ich in München oder Hamburg Theater spiele. Doch kein Schwein hat sich hier im Osten dafür interessiert. Ich verstehe es im nachhinein. Wenn die Welt so eng zugeschoben ist, kann man sich nicht ewig vom Vater erzählen lassen, wie es in der Welt ist, und immer nur zu Hause bleiben.

Aber eigentlich müßte man verbieten, daß Westler einen nach der Ost-West-Problematik fragen. Wenn man nie die Chance hat, die Gegenfrage zu stellen, wird das Gespräch einseitig. Umgekehrt frage ich mich manchmal, wie die Leute vierzig Jahre lang diese Demokratie ertragen konnten. Das ist für mich ein Phänomen. Daß dieses Land diesen Kanzler hat, den es jetzt hat. Dennoch, es ist eine Demokratie, der Kanzler ist gewählt. Ich habe mir nie eingebildet, daß dieses Land besser sei, als es ist. Das ist mein Vorteil. Aber es ist fatal, wenn die Ostleute – ich rede von ihnen, weil ich sie besser kenne – trotz aller Probleme, die es sicher gibt, vergessen, daß die Welt weiterbesteht, auch wenn die DDR vor sieben Jahren zusammengebrochen ist. Die Welt ist anders, aber die Welt ist da.

Muß man mit diesem neuen Publikum, das nicht mehr die gleichen Sensoren besitzt wie das alte, nicht einfach anders umgehen?

Ja, sicher: Aber es ist schon ganz schön, wenn man die Leute, die zu einem kommen, ungefähr kennt. Dazu muß ich Ihnen etwas erzählen: Als ich zum erstenmal einen Menschen traf, der eine Insel besaß, eine Yacht mit 80 Angestellten und eine ganze Häuserzeile, konnte ich nicht fassen, daß es so etwas gibt. Wissen Sie, in der DDR war der Reichste für mich durchschaubar, der hatte eine zusammengegrabschte Million: Das war ein Dachdecker oder Konditor oder Klempner.

Und dann diese Märchenwelt Bundesrepublik! Das war eine Überraschung für die Ostler, man kannte weder diesen unglaublichen Reichtum noch diese existentielle Armut. Aus dieser Spannung heraus verstehe ich die Bitterkeit der Kollegen, wenn manche sagen, daß sie nicht mehr wüßten, für wen sie spielen sollen. Man könnte sagen: „Für die, die kommen.“ Man könnte auch ganz einfach sagen: „Für die, die Geld haben.“ Da braucht man sich nichts vorzumachen. Und das Theater wird sich darauf einstellen müssen, daß es verstärkt für die spielen wird, die mehr Geld haben als die, um die man sich gelegentlich kümmern müßte. Das ist ein Problem dieses Berufes.

Sie sind nach dem Zusammenbruch des Schiller Theaters wieder ans Deutsche Theater zurückgekommen. Hat Ihre Rückkehr noch etwas zu tun mit der, nennen wir es mal Nibelungentreue dem DT gegenüber, der ich bei vielen Ihrer Kollegen, von den älteren Semestern bis zu den ganz jungen, begegnet bin?

Nein. In Hamburg zum Beispiel hätte ich mir sehr gut vorstellen können, zu bleiben. Dazu ist es nicht gekommen, weil es damals in Berlin anfing zu brodeln, da mußte ich dabeisein. Sonst wäre ich ohne weiteres bestimmt bei Jürgen Flimm in Hamburg geblieben.

Doch dieses auffällige Zugehörigkeitsgefühl zum Haus existiert! Liegt dem guten Ruf der DT- Schauspieler nicht doch mehr zugrunde als das jeweilige Können – eben die Zusammenarbeit eines über Jahre eingespielten Ensembles?

Ja, und bei diesem Ensemble ist nicht unwesentlich, daß Schauspieler aus allen Generationen dabei sind – auch wenn es damit im Moment nicht so gut aussieht. Man schickt zu viele in den Ruhestand, nur weil sie fünfundsechzig Jahre alt sind. Das kann ein Haus schwer verkraften. Doch sehen Sie sich die großen Ensembles an. Ensembles, von denen man spricht, die sind nach dem gleichen Prinzip aufgebaut wie das DT. Schauen Sie bei Brook oder der Mnouchkine, wie lange es dauert, bis sie sagen: Jetzt spielen wir zusammen!

Das ist das Geheimnis: Wenn ich so in der Theaterlandschaft herumschaue, muß ich sagen, nur ganz dumme Fußballtrainer würden ähnlich ihre Mannschaft zusammenstellen wie manche Intendanten ihre Ensembles. Ich kenne keinen Trainer, der in zwei Jahren eine Mannschaft neu arrangiert und dann meint, er könne gleich Meisterschaften gewinnen. Deshalb ist es für die subventionierten Theater oft auch schwierig, den subventionierenden Politikern begreiflich zu machen, daß sie Geduld haben müssen – ein Theater kann in zwei Jahren nicht seine volle Leistungskraft erreichen.

Fühlen Sie sich wohl am Haus?

Ich fühle mich immer nur so, wie mir's gerade bei der Arbeit geht. Das Haus als Mauerwerk ist wirklich sehr schön, ein gutes Haus – aber das alleine reicht nicht aus. Interview: Stephanie Pruschansky