„Er wußte doch nicht, was er tat“

■ Kellner stach auf eigene Mutter ein. Gericht beschließt Unterbringung in Psychiatrie

Die Ärzte im AK Ochsenzoll hatten versucht, der Verkäuferin klarzumachen, daß ihr Sohn dringend behandelt werden müsse. Aber letztlich hatte die 57jährige nicht verstanden, was es mit der vermeintlichen Psychose des arbeitslosen Kellners auf sich hatte. Im September 1996 stach er im Zustand der Schuldunfähigkeit mit einem Messer auf seine Mutter ein, als beide das Vorabendprogramm im Fernsehen verfolgten.

„Er war nicht er selbst“, flüstert die zierliche Verkäuferin in der Verhandlung vor dem Hamburger Landgericht. „Ich nehme an, er wußte nicht, was er tat.“Sie erlitt eine Stichverletzung in der Lunge, mehrere Rippen- und einen Schlüsselbeinbruch. Mit Mühe und Not schleppte sie sich zum Telefon und verständigte ihre Tochter. Der 26jährige Sohn hatte sich unterdessen im Bad eingeschlossen und sich eine klaffende Bauchwunde zugefügt, „um einen Kopf herauszuholen“, wie er später einem Arzt in der Untersuchungshaft berichtete.

Zwei Jahre zuvor hatte er einem Nachbarn, von dem er sich verfolgt fühlte, durch einen Türspalt unvermittelt mit einem Messer ins Gesicht gestochen. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage, doch niemand wollte den nach außen ruhig wirkenden Mann damals einsperren. Eine Messerattacke sei völlig untypisch für sein Krankheitsbild, urteilte ein Psychiater.

Was die Familie nicht ahnte: Die psychotische Erkrankung des Sohnes hatte sich unter dem Einfluß von Drogen verschlimmert. Der mittlerweile arbeitslose Kellner hörte Stimmen. Einmal sprang er sogar vom Balkon und verletzte sich an der Wirbelsäule. Am Tattag, dem 11. September, hätte er die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch wahrnehmen sollen, entschloß sich jedoch unterwegs, umzukehren. „Ich fühle mich moralisch schuldig“, liest er im Prozeß von einem mitgebrachten Zettel ab. Die Richter des Landgerichts ordneten gestern die unbefristete Unterbringung des 26jährigen in die Psychiatrie an. Lisa Schönemann