Mit Lust hinein ins Buhgewitter

■ Frank Hoffmann mit einer einfallsreichen Inszenierung von Mozarts „Idomeneo“/ Publikum reagierte erbost

an sollte nicht meinen, daß in einem so kleinen Kopf etwas so großes stecke“, soll der Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz 1781 nach der Münchener Uraufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Idomeneo“gesagt haben. Wie recht er hatte, ist heute selten genug zu hören, denn noch immer haften Mozarts Lieblingsoper, an der er sein Leben lang weitergearbeitet hat, Urteile und Vorurteile an, die zwar nachvollziehbar sind, sich bei genauem Zuhören aber nicht mehr halten lassen. Die „opera seria“, jene von Gluck schon reformierte Form der Oper mit ihrem starren Ablauf von handlungstreibenden Rezitativen und affektgeladenen Arien, ist mit „Idomeneo“zwar noch erkennbar, aber mit einer solchen Experimentierlust sozusagen nach vorne getrieben, daß der Flötist der Uraufführung meinte, alles an dieser Musik sei „neu und fremd“. Allein das Sujet ist schwer vermittelbar, enthält es entgegen der Musik noch alle Elemente der Barockoper.

Der am Ende des trojanischen Krieges aus Seenot gerettete griechische König Idomeneo muß aufgrund eines Gelübdes dem Poseidon seinen Sohn Idamante opfern. Immer wütender wird der Seegott und die Katastrophen überziehen das Land, bis erst Idomeneo selbst, dann Idamante sich als Opfer anbietet. Das tut auch seine Geliebte Ilja, die gefangene trojanische Prinzessin. Gerührt von soviel Opfermut, erklingt die Stimme des Orakels: Verzicht auf das Opfer, Idamante wird zum neuen König ernannt.

Die Premiere von Frank Hoffmanns Inszenierung wurde am Donnerstag im Bremer Theater mit einem Gewitter von Buhrufen quittiert, in dem sich die Bravos kaum durchsetzen konnten. Schwer nachzuvollziehen, was das Publikum so erboste, hatte der Spielleiter doch einen eigenständigen und einfallsreichen Versuch unternommen, seinen szenischen Entwurf genau durch die stilistische Doppeldeutigkeit zu schiffen: Seine Akzente liegen – durch genaues Horchen auf die Musik – in der Individualisierung der leidenden Personen, im Herausarbeiten des Vater-Sohn-Konfliktes (der Mozarts eigener ist), in der Infragestellung von Macht, in der präzisen Gestaltung des Volkes, das im Ränkespiel der Könige und Götter immer der Dumme ist.

Die kastenartige Bühne von Ben Willikens assoziiert trotz seiner Abstraktheit mit ihrem Weiß und ihrem Licht Griechenland. Ein schwenkbarer Kasten ist hier zunächst das wirkliche Gefängnis der Ilja, später das seelische Gefängnis der Elektra und am Ende das Rollengefängnis des neuen Königs Idamante. Ein anderer weißer Kasten markiert die Unerreichbarkeit Idomeneos für Idamante: Ein viel zu hoher Schreibtisch, an dem Idamante vergeblich hochspringt und überdimensional groß im Hintergrund der Schatten des Vaters.

Die Symbolwirkung des Bühnenbildes füllt Hoffmann mit dem Leben seiner Figuren: die zauberhafte Liebesszene zwischen den Jugendlichen Idamante und Ilja, eine Insel der Seligkeit zwischen den bedrohlichen Mächten, die von außen kommen; die starre Einsamkeit Idomeneos, um dessen Zuwendung Idamante regelrecht bettelt; die protestgeladene Verzweiflung Idamantes, als er merkt, was der Vater von ihm für die Staatsräson verlangt, nämlich die Ehe mit der ungeliebten Elektra (Elektra wird am Ende wahnsinnig ob ihrer verlorenen Hoffnung, Idamante zu erobern); das Leben des stets verratenen Volkes, das in dieser Oper auch musikalisch eine Bedeutung hat wie nie mehr bei Mozart.

Vieles wirkt auch selbstironisch. Wenn Hoffmann in der Opferszene das schon blutige Messer häufig seinen Besitzer wechseln läßt, karikiert er eine längst veraltete Ästhetik.

Die musikalische Seite der Aufführung ist problematisch: Unter einem überzeugenden Dirigat von Rainer Mühlbach spielt das Orchester immerhin so mozartgerecht, wie das mit einem „Klangkörper des 19. Jahrhunderts“überhaupt möglich ist. Mühlbach legt die Vielschichtigkeit der Partitur wunderbar offen: Empfindlich, unwirklich, zart, aber auch vital, energisch und, wenn es sein muß, auch „ruppig“.

Ein Extralob der Leistung des umfangreichen Chorparts. Bei den SängerInnen wird's schon schwieriger, weil wirklicher Mozartgesang an diesem Abend nur von einer Interpretin zu hören war: Daniela Sindram in der Männerrolle des Idamantes. Die Flexibilität ihres Legatos erlaubte ihr den Ausdruck aller seelischen Nuancen, die sie auch szenisch vollkommen erfüllte. Problematischer Mihai Zamfir als Idomeneo, dessen Piano zu wenig Schmelz und Substanz hat. Seine Darstellung schwankte zwischen einförmig verzweifeltem Heben der Hände und berührenden Augenblicken seiner Ohnmacht, eine insgesamt sehr gespaltene Leistung. Auch Birgit Binnewies fehlt noch viel für Mozarts Kantilenen, die die Figur als Vorläuferin der Pamina erkennen lassen. Ausgleichen konnte sie das mit einer vielschichtigen schauspielerischen Leistung. Valerie Girard als grotesk-furienhafte Elektra wurde an dem ganzen Abend ihren forciert-gaumigen Klang nicht los.

Dennoch: Ihre lustvolle Verspieltheit und gleichzeitige dramatische Konzessionslosigkeit macht Frank Hoffmanns Inszenierung zu einem sehr anregenden Theatererlebnis. Ute Schalz-Laurenze

Nächste Aufführungen am 16., 19., 24. und 30.4. um jeweils 19.30 Uhr