■ Soundcheck
: Gehört: Kiss und Fury in the Slaughterhouse

Gehört: Kiss. Eines muß man Gene Simmons lassen: Wenn der Kiss-Hüne auf der Bühne den Dämon gibt, die Augen nach hinten rollt und unter eckigen Zuckungen Gallonen von Kunst-Blut über seine Mega-Zunge rinnen läßt, möchte man Geisterjäger John Sinclair um Hilfe rufen. Selten war Besessenheit so schön, der „God Of Thunder“so schmackhaft. Kiss in Hamburg, das hatte es zuletzt vor 17 Jahren gegeben. Aber für die -zig Tausend auf der Bahrenfelder Trabrennbahn lösten sich am Wochenende Raum und Zeit in ein unschuldiges Glücksgefühl auf. Um Musik ging es kaum, Kiss verbanden über den Show-Knall. Ace Frehley gniedelte seine sechs Saiten zu Tode und schoß damit die Scheinwerfer kaputt. Paul Stanley spielte den Pop-Monarchen und segelte per Seilbahn über sein Volk. Sylvester mitten im Mai, dazu knallbunter Disney-Metal vom Fließband. Jede Zeile eine Formel, jede Geste ein Ritual. Die Songauswahl war überraschend mau, aber wir schauten gern über dünnes „Do You Love Me“hinweg, weil im Hintergrund phänomenale Versionen von „Watching You“und „Cold Gin“warteten. Bei Kiss lauerten Stuß und stilsichere Gigantomanie in einzigartiger Eintracht. Rock-Ästhetik direkt aus den 70ern, von Elektronik oder Virtual Reality keine Spur. Kiss lieben die Mechanik, vertrauen auf die verdiente Hydraulik ihrer Bühneneffekte. Alles war beweglich und sah doch wie selbstgebaut aus. Kiss, die kindlichen Comic-Rocker, werden niemals wirklich 50 Jahre alt werden, mag der Personalausweis auch noch so beharrlich darauf bestehen. Die Popgeschichte wird es beweisen.

Oliver Rohlf

Gehört: Fury in the Slaughterhouse. Derartig herzbewegende Szenen dürften bei Kiss gefehlt haben: Das vorletzte Konzert von Furys vierwöchiger Deutschland-Tournee geriet zu einem bunten Feuerwerk der Emotionen. Zu allererst bekräftigte da ein ehemaliger Jeremy-Days-Sänger, heute schlicht Darmstädter und im Vorprogrammm, wie toll es sei, endlich wieder zu Hause zu sein. Ein weiterer Vokalist ohne seine Band, J. M. Watts, bracht mit den heimlichen Klassikern der fast vergessenen FischerZ Nostalgie und Wehmut unter das paarreiche Publikum.

Und schließlich würdigten Furys Gebrüder Wingenfeler in ihrer Geburtsstadt ihre Mutter und bescherten der ausverkauften Sporthalle auch noch ein ganz besonderes Geschenk: Die Zugabeneinlage mit J. M. Watts wurde für eine CD und ein Video mitgeschnitten. Das alles, als ob die Musik des emporgestiegenen Mainstream-Pop-Sextetts nicht schon einlullend genug wäre. Mit großartigen Melodien und Refrains, teils verpackt in groovige Loops, schmissen die selbsternannten brillanten Musik-Diebe nur so um sich. Trotz allem wirkte der Großteil dieses Emotionsgewitters glaubhaft und nicht aufgesetzt. Keine wieder hervorgekramten Make-Up-Masken und Plateauschuhe. Timo Hoffmann