Tränen im Amüsierbetrieb

Nach dem pflichtgemäßen Titelgewinn des FC Bayern München packt sogar den coolen Ziege die Rührung, und der Kaiser droht mit „weniger Theater“  ■ Aus München Markus Götting

Äußerlich war dieser Typ kaum zu unterscheiden von jenen Jungs, die gerade dem FC Bayern den Titel gesichert hatten: Rotblaues Trikot, blaue Hose, weiße Stutzen. Im Bewußtsein, Haltung zu bewahren in der großen Stunde, schritt er auf Schiedsrichter Markus Merk zu, um artig zu danken für die Spielleitung. Viel hätte wohl nicht gefehlt, und der Kerl hätte sich in die Kabine geschmuggelt, weil alles drunter und drüber ging im ausverkauften Olympiastadion. Aber als letztlich einige tausend Klinsmänner das Feld bevölkerten, da hat es wohl den deppertsten Ordnern gedämmert, daß Vorsicht geboten ist. Vor der Haupttribüne war dann auch die Cabrio-Flotte des Hauptsponsors aus Rüsselsheim in Position gefahren, eingestiegen waren aber nur die Fans, weil die Kicker hinter einer vorübergehend aufrechterhaltenen Absperrung fröhlich schunkelten.

In der Südkurve brannten bengalische Feuer, und unter dem Zeltdach des Stadions stank es wie in einem pyrotechnischen Versuchslabor. Unten in den Katakomben hatte sich der Bayerische Rundfunk, namentlich Hofreporter Waldemar Hartmann, zu einer Live-Schaltung aufgebaut, als Mario Basler und Christian Ziege ihn mit einer Champagnerflasche überfielen, und es dem Waldi aus den stacheligen schwarzen Haaren aufs nagelneue FC-Bayern-Meistershirt tropfte. Nur ein paar Minuten zuvor hatte Ziege, ein einfacher Zehlendorfer Junge, der in der Society-Hauptstadt München gern den Coolen gespielt hat, ganz heftig mit den Tränen zu ringen. Es gab Abschiedsschmerz, weil er zum AC Milan wechselt, aber an diesem FC Bayern hängt wie ein Hundebesitzer an seinem Cockerspaniel.

In solch emotionalen Momenten kann man sogar Sympathie empfinden für diesen Klub, der sich großkotzig wie kein zweiter präsentiert, aber auch nicht anders feiert als die Schalker Ruhrpott- Malocher. Und doch sind Titelgewinne wie diese 14. deutsche Meisterschaft nicht mehr als ein Programmpunkt im Ganzjahres- Amüsierbetrieb an der Säbener Straße. In keinem Klub der Liga, nicht mal in Dortmund, wo sie inzwischen ein noch kostspieligeres Ensemble beisammen haben, werden sportliche Erfolge derart zur Pflichtnummer wie beim FC Bayern. Kaum vorstellbar, was gewesen wäre, hätten sie die Meisterschaft nicht gewonnen. „Der Verein hat gesagt, wir wollen an die europäische Spitze, aber dann hätte man den Uefa-Cup verteidigen müssen“, sagte Torwart Oliver Kahn in Anspielung auf die Erstrunden-Niederlage gegen Valencia, und aus seiner Mimik war nicht zu erkennen, ob er das ernst gemeint hat.

Derlei Anspruchsdenken gehört dazu beim gigantomanischen Fußball-Unternehmen FC Bayern, das inzwischen weit mehr als 100 Millionen Mark jährlich umsetzt. Manager Uli Hoeneß hat einmal gesagt, der FC Bayern müsse unabhängig werden von sportlichem Erfolg, und mit 70.000 Mitgliedern und 1.400 Fanclubs weltweit ist dieser Verein auf dem besten Wege. Knapp eine Million Fans kamen zu den Heimspielen dieser Saison, und die meisten werden nicht wirklich gewußt haben, warum. Attraktiven Fußball gab es selten, und die Mannschaft hat sich 34 Spiele lang sensationslos zur Meisterschaft gestöpselt.

Es gibt wohl kein Team, das es sich selbst so schwer macht. Und mit einem ulkigen Geflecht aus Eitelkeiten, sonstigen Neurosen und infantilen Intrigen haben sie auch diese Meisterschaft erneut aufs Spiel gesetzt. „Wir hätten gar nicht so lange zittern müssen“, sagt Jürgen Klinsmann, den der alltägliche Wahnsinn des Vereins gen Genua in die Flucht geschlagen hat. „Es waren zwei verrückte Jahre, die mich persönlich sehr viel weiter gebracht haben“, meinte Klinsmann, der letztlich versöhnt schien mit dem ersten nationalen Titelgewinn seiner Karriere. Noch vor knapp einer Woche hatte er diese zwei Jahre als Tortur bezeichnet.

Klinsmanns Kritik hat einen allmählichen Sinneswandel im selbsternannten FC Hollywood initiiert. Den Anfang machte das bislang milde belächelte neue Medienkonzept. Und einer wie Mehmet Scholl, der in seinem Selbstbewußtsein kränkelnde Popstar des Teams, hat Konsequenzen gezogen, weil er nach seinen winterlichen Zech- und Rüpeltouren tagelang die Schlagzeilen der drei Münchner Boulevardblätter gepachtet hatte. Herr Scholl darf nunmehr nur noch gesiezt werden – falls er überhaupt noch mit Presseleuten spricht.

Das Irrsinnige an diesem Klub ist, daß die Mannschaft trotz allen Theaters zum Titelgewinn fähig ist. „Die Schlüsselspiele“, sagt Oliver Kahn, „waren die Niederlagen in Leverkusen und Bielefeld. Danach haben wir so viel Prügel bezogen, daß wir uns zusammengeschworen haben.“ Offenbar brauchen sie das. Dennoch wirkt die Medienarbeit des Präsidenten Beckenbauer fahrlässig, der sich in seiner Eigenschaft als TV-Kommentator und Bild-Kolumnist nicht entblödet, interne Dinge („Münch kann gehen, wenn er will“) in der Öffentlichkeit zu verkünden. Trainer Giovanni Trapattoni kann froh sein, daß er nicht immer versteht, wie der Präsident ihn dann und wann beurteilt. „In der kommenden Saison“, sagte Beckenbauer am Samstag, „muß das Theater weniger werden.“ Dazu müßte er sich allerdings erst mal selbst von der Gehaltsliste der Bild-Zeitung streichen lassen.