Die Tigerenten-Generation

■ Die Grüne Jugend feiert ihr fünfjähriges Bestehen. Die Gründergeneration der Grünen kommt in die Jahre, doch der Parteinachwuchs führt ein Schattendasein

„Die Grüne Jugend? Das ist ein lahmer Haufen“, sagt spontan ein grüner Parteifunktionär jenseits der 50. „Einzeln schätze ich sie sehr“, schiebt er dann nach. Doch nicht ohne eine Seufzer: „Wir waren militanter.“ Die Gründergeneration verhält sich zum Parteinachwuchs wie enttäuschte Eltern. Auch Parteisprecher Christian Ströbele stellt fest: „Die sind in vielem anders. Denen fehlt die Erfahrung, daß man aus nichts etwas machen kann.“

Jens Augner, der vor fünf Jahren die Grüne Jugend mitbegründete, trägt zu offiziellen Anlässen seine Lieblingskrawatte mit dem Tigerenten-Muster. Das gelbbraungestreifte Entchen ist für ihn das „Symbol einer gerechten und friedlichen Welt“. Der 25jährige, der Latein und Sozialkunde studiert, entstammt einem 68er-Haushalt. Doch die Devise des Nachwuchses lautet Pragmatismus statt Revoluzzertum.

Die grünen Jugendlichen setzen auf Qualifikation: Die 20jährige Katharina Reuter, die seit 1995 in Reinickendorf BVV-Verordnete ist, bereitete sich auf ihre erste Rede im Bezirksparlament gründlich vor. Sie machte sich fit in Sozialpolitik und hatte auch schon einige Rhetorikkurse belegt. Zur Grünen Jugend kam sie 1991, als sie an einer Gedenkstättenfahrt zum Konzentrationslager Auschwitz teilnahm. „Wenn es die Jugendorganisation nicht gäbe, wäre ich wohl nicht mehr dabei“, sagt sie. Die meisten Grünen seien „so alt und gesetzt“.

Ob es darum geht, Flugblätter gegen Ausländerfeindlichkeit zu verteilen oder an Seminaren der Grünen Jugend teilzunehmen, das Interesse ist groß. Ausgerechnet die Kurse über vegetarisches Kochen oder Naturkosmetik sind am beliebtesten. Das löst bei manchen Altgrünen Stirnrunzeln aus. „Wir werden tendenziell belächelt“, sagt Jens Augner. „Die verstehen den strategischen Nutzen unserer Aktivitäten nicht.“ Gerade die scheinbar unpolitischen Angebote seien wichtig. „Wenn die erst mal da sind, politisieren sie sich von allein.“

Die meisten der 400 Jugendlichen, die im Postverteiler sind, sind zwischen 16 und 18 Jahre alt. Man müsse deren Interessen entgegenkommen, denn Parteiarbeit haue schließlich niemand vom Hocker. Attraktiv sind die Grünen für Jugendliche nur bedingt: das Durchschnittsalter der Abgeordnetenhausfraktion liegt bei 42 Jahren. Unter vierzig sind nur vier Abgeordnete. Und auch bei den Mitgliedern, in den Bezirksgruppen und Parteigremien dominiert die Generation der über 40jährigen. Von den 3.250 Parteimitgliedern sind nur 84 jünger als 25 Jahre, unter 35 sind 490 Mitglieder. Der ausbleibende Parteinachwuchs wird zu einem „Riesenloch“ führen, ist sich Jens Augner sicher.

Noch dazu ist die Jugend- und Schulpolitik fest in den Händen von LehrerInnen aus der grünen Gründergeneration. „Über Schulpolitik können wir uns wunderbar mit Sybille Volkholz (der früheren Schulsenatorin) streiten“, ist zu hören. Ihre Vorstellung, daß die Eltern stärker an der Schule beteiligt werden sollten, stieß bei der Grünen Jugend auf Protest. Die umstrittene Passage wurde schließlich nicht ins Wahlprogramm aufgenommen.

Den größten parteiinternen Erfolg hatte die Grüne Jugend kürzlich mit ihrer Initiative zur Senkung des Wahlalters. Zwar konnten sie sich mit ihrem Vorschlag, bei Wahlen auf jegliche Altersbeschränkung zu verzichten, nicht durchsetzen. Doch immerhin erreichten sie, daß der Vorschlag der Abgeordnetenhausfraktion, das Wahlalter von 16 auf 14 Jahre zu senken, angenommen wurde.

Doch statt mit dem Pfund der Grünen Jugend zu wuchern, führt der Nachwuchs innerparteilich eher ein Schattendasein. Katharina Reuter war bei der Wahl zu Bezirksverordnetenversammlung 1995 in Reinickendorf mit Sicherheit die jüngste Spitzenkandidatin. „Das hätte man offensiver verkaufen können“, sagt die selbstbewußte Studentin der Agrarwissenschaft.

Ungeachtet der allmählichen Vergreisung der MandatsträgerInnen schneiden die Grünen bei den ErstwählerInnen aber nach wie vor gut ab: bei der Abgeordnetenhauswahl 1995 stimmten 22,4 Prozent der 18- bis 25jährigen für die Ökopartei. In der Gruppe der 25- bis 35jährigen liegt der Wähleranteil mit 25 Prozent noch etwas höher. Zum Vergleich: SPD und CDU konnten je 24 Prozent der Jungwähler gewinnen.

Der Talentschuppen der Partei will die Grüne Jugend gar nicht sein, ihnen geht es um die Politisierung von Jugendlichen. Und damit hat die 20köpfige Kerngruppe schon alle Hände voll zu tun. Eine stärkere Einbindung in die Partei scheint Alt- wie Junggrüne zu überfordern. Parteisprecher Christian Ströbele meint: „Den Spielraum haben sie, aber man macht ihnen auch keinen Mut.“

Zuweilen kommt auch eine elterliche Attitüde zum Vorschein: Das handgemalte Wandbild, mit dem die Junggrünen ihr Büro in der Kreuzberger Parteizentrale verschönert hatten, mußten sie übermalen, als sie innerhalb der Etage umzogen. Doch als das bunte Biotop mit den fliegenden Fröschen überpinselt war, steckte ein Oldtimer den Kopf in den neuen Raum und fragte: „Es ist so kahl hier, warum malt ihr nicht ein neues Bild?“ Dorothee Winden