Nicht nur Derwische und Dholtrommler

Pakistan kann als Heimat des Sufismus bezeichnet werden. Eine Tagung im Berliner Haus der Kulturen der Welt versuchte eine Annäherung an die islamische Mystik. Musik spielt eine zentrale Rolle in sufistischen Zeremonien  ■ Von Daniel Bax

Vom „Feindbild Islam“ ist in letzter Zeit viel die Rede. Das Medienbild der islamischen Welt changiert zwischen Fundamentalismus und Menschenrechtsverletzung. Weniger diskutiert wird jedoch die Faszination, die gleichzeitig von anderen Aspekten islamischer Kultur in den Westen wirkt, etwa dem, was so allgemein unter den Begriff Sufismus fällt. Dabei genügt ein Blick in die Esoterikecke eines beliebigen Buchladens, um zu bemerken, daß das Interesse auch an dieser Spielart religiöser Praxis beständig zunimmt. „Der Weg des Sufis“, „Sufismus im Alltag“ oder Annemarie Schimmels Standardwerk „Mystische Dimensionen des Islam“ stehen da einträchtig nebeneinander und werden wohl auch gekauft. Nachfrage besteht, wenn man den Erfolg des pakistanischen Qawwali-Sängers Nusrat Fateh Ali Khan zum Maßstab nimmt, offenbar auch nach exotischen Klängen mit Sufi-Aura.

„Annäherungen an die islamische Mystik“ versprach die Vortragsreihe im Berliner Haus der Kulturen der Welt, die allerdings weniger dem Zeitgeist als dem 50. Geburtstag der pakistanischen Nation geschuldet war. Und weil Pakistan, zusammen mit Nordindien, das Kernland des Derwischwesens ist, bot sich das Thema Sufismus als Schwerpunkt an. Der indopakistanische Subkontinent ist die eigentliche Heimat wandernder Mystiker und Asketen, die man vor allem an den vielen Heiligenschreinen des Landes finden kann. Einige von ihnen, traditionelle Qawwals und bekannte Fakirensembles, ekstatische Dholtrommler und klassische Dhrupadsänger waren eingeladen und bestritten, als Einstimmung vorneweg, das musikalische Festivalprogramm.

Musik spielt eine zentrale Rolle in vielen sufistischen Zeremonien, was die Mystiker oft in Konflikt mit der Orthodoxie brachte. Obwohl der Islam zur Musik eine ambivalente Einstellung pflegt, hat die islamische Zivilisation eine ganze Reihe unterschiedlicher Musikstile hervorgebracht. Dabei hat die Religion durchaus eine prägende Rolle gespielt, der typische Gebetsruf des Muezzin ist bekanntlich in allen islamischen Kulturen verbreitet. Für Kudsi Ergüner ist die Rezitation des Korans, die mehr gesungen als gesprochen wird, bereits die erste Form islamischer Musikalität. Der türkische Ney-Spieler spielte exemplarische Aufnahmen auf dem mitgebrachten Kassettenrekorder vor, irritierte aber das Auditorium anschließend mit der kategorischen Feststellung: „Es gibt eigentlich keine Sufi-Musik. Es gibt nur Musik, die von Sufis gehört wird. Die Art des Hörens gibt ihm die Qualität. Denn die Musik entsteht durch die Art des Hörens, nicht durch das Spielen.“ Einer skeptischen Zuhörerin, die nachhakte, ob denn also die zeremonielle Musik des Mevlevi-Ordens seiner Definition nach keine Sufi-Musik sei, antwortete Ergüner, das sei lediglich eine Frage der Etikettierung. Jede Kultur habe ihr eigenes Referenzsystem, im Christentum etwa werde der Klang der Orgel mit dem Sakralen verbunden. Doch eigentlich unterscheide sich ein Stück wie „I was born to love you“ der Rockgruppe Queen inhaltlich kaum von den Aussagen berühmter Sufi- Poeme.

Annemarie Schimmel, die ihr halbes Leben mit der Übersetzung mystischer Dichtung zugebracht hat, dürfte das vermutlich anders sehen. Bei ihrem Vortrag erwies sich die umstrittene Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels von 1995 einmal mehr als wandelnde Enzyklopädie des Islams, die mit halbgeschlossenen Augen so viele Namen und Daten aus dem Gedächtnis rezitieren kann wie niemand sonst. Sie wies auf die Vorreiterrolle der großen Dichter wie Schah Abdul Latif bei der Islamisierung des Subkontinents hin, die Legenden des Landes zu mystischen Erzählungen verarbeiten, statt lediglich auf arabische Sagen oder koranische Erzählungen zurückzugreifen. „Didaktische Poesie“ sei das gewesen, um den Islam zu popularisieren, nicht nur in Süd- und Zentralasien, sondern auch in Afrika und Indonesien.

Entstanden ist der Sufismus als asketische Gegenbewegung bereits in der islamischen Frühzeit. „Eine Protestbewegung“, die den Pietismus der frühen Muslime gegen Dekadenz, Machtmißbrauch und Prasserei setzte, die „Schattenseiten der islamischen Erfolgsstory“, wie Mahmoud Ayoub aus Philadelphia ausführte. Der Sufismus sei zwar praktische Alternative zur akademischen Haarspalterei der Juristen und Theologen, und gelebter Glaube zähle weit mehr als schriftgläubige Scholastik. Oft aber in der Geschichte ließ sich keine klare Trennungslinie zwischen orthodoxen Sufis und islamischen Rechtsgelehrten ziehen, Sufis wie Ibn Arabi und Al-Ghazali waren auch Juristen. Die Sufik sei kein Antipode zum Gesetzesislam, betonte auch sein deutscher Kollege Berndt Radtke, das sei „eine Projektion des Westens auf ein ungeeignetes Objekt“. Zwar habe die Verehrung der Sufi-Meister als Mittler zum Absoluten oft die Form des Heiligenkults angenommen, was von orthodoxer Seite als Degeneration kritisiert worden sei. Prinzipielle Kritik innerhalb des Islams entfachte sich aber lediglich am Anspruch der Sufis, über eine höhere Form der Weisheit zu verfügen, ihre Existenzberechtigung sei nicht angezweifelt worden.

In der Moderne gerieten die Sufis zwischen die Räder säkularistischer und islamistischer Modernisierer von Atatürk bis Zia ul-Haq, und weder in Saudi-Arabien noch im Iran sind sie heute sonderlich wohl gelitten.

Doch damit ist das Verhältnis zum sogenannten Fundamentalismus nicht zwangsläufig ein antagonistisches. Neue Sufi-Orden entstehen auch heute noch, besonders in Ägypten, Syrien, Jordanien und im Libanon, und wie viele derzeit aktiv sind, läßt sich nicht in Zahlen fassen. Radtke machte darauf aufmerksam, daß es unter zum Sufismus übergetretenen Westlern zahlreiche synkretistische Formen gibt, die bisher kaum untersucht wurden. Und Mahmoud Ayoub ist überzeugt: „Der Islam wird seinen Weg in den Westen durch den Sufi- Pietismus finden. Aber nicht als irgendeine Art Hippietanz.“