Haftstrafen für DDR-Generäle

Das Landgericht Berlin verhängt gegen vier hohe DDR-Militärs Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren und drei Monaten: Mitverantwortlich für Todesfälle an der Mauer und der Grenze  ■ Aus Berlin Severin Weiland

Auch als Joachim Goldbach im Erdgeschoß des Berliner Kriminalgerichts von Kamerateams umringt wird, zeigte er keine Reue. „Wir sind hier als Verlierer verurteilt worden“, kommentierte der frühere DDR-Vizeverteidigungsminister bündig das Urteil gegen ihn und drei seiner Mitangeklagten. Nach 21 Monaten ging gestern ein weiterer Prozeß gegen vier frühere DDR-Generäle zu Ende.

Gemessen an den zahlreichen Bewährungsstrafen in rund 50 Mauerschützenprozessen fielen die gestrigen Urteile der 35. Strafkammer am Berliner Landgericht hart aus. Wegen Beihilfe zum Totschlag und Beihilfe zum versuchten Totschlag erhielten der 67jährige Goldbach und der gleichaltrige Chef der Kaderverwaltung, Harald Ludwig, drei Jahre und drei Monate.

Zwei Jahre und zehn Monate wegen Beihilfe zum Totschlag sprach der Vorsitzende Richter Ralph Ehestädt gegen den Hauptinspektor der Nationalen Volksarmee, Heinz Handke (70), aus. Eine Bewährungsstrafe von 22 Monaten erhielt hingegen der 69jährige Chef der DDR-Zivilverteidigung, Fritz Peter.

Grundlage für die Urteile waren insgesamt zwölf Fälle, bei denen DDR-Bürger bei ihrer Flucht durch Minen und Schüsse schwer verletzt oder, wie im Fall von Chris Gueffroy, getötet worden waren. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß die vier Verurteilten als Mitglieder des Kollegiums des DDR- Verteidigungsministeriums sich strafbar gemacht hatten. In dem beratenden Gremium sei jährlich jener Befehl 101 erneuert worden, der die Grundlage für die DDR- Grenzsicherung gewesen sei.

Die Bemerkung des Vorsitzenden Richters, nicht die DDR an sich sei ein Unrechtsstaat gewesen, sondern das „Verhalten der staatstragenden Politiker und Militärs, die den Tod Andersdenkender oder Anders-wohnen-Wollender in Kauf genommen hat“, löste unter den Zuschauern Empörung aus – unter den meist älteren Sympathisanten saß auch Egon Krenz, Angeklagter im laufenden Politbüroprozeß. Ehestädt verwahrte sich dagegen, das Gericht habe aufgrund politischer Vorgaben gehandelt.

Geradezu als „zynisch und grotesk“ bezeichnete er die Forderung einiger Verteidiger, die Bundesrepublik hätte die Flüchtlinge von ihrem Vorhaben abhalten müssen. Obwohl die Angeklagten die Opfer bedauerten, hätten sie doch ihre eigene Verantwortung „unter den Scheffel gestellt“. Ihre Behauptung, sie hätten weder von der Situation an der Grenze noch vom DDR-Ausreiserecht Kenntnis gehabt, ließ Ehestädt nicht gelten: „Das wäre so, als wollte der Vorstand einer Firma sagen, er wisse nicht, was produziert wird.“

Strafmildernd bewertete das Gericht unter anderem das hohe Alter der Angeklagten. Aus dem Verfahren, das mit acht Angeklagten begann, waren vier ausgeschieden, darunter einer durch Tod. Ob die Generäle bald in Haft gehen müssen, ist offen – einige der Verteidiger kündigten Revision an.