Ein Attentat auf den Schah?

■ Bahman Nirumand: Warum die iranische Frage die Studentenrevolte auslöste

taz: Herr Nirumand, wie kam es, daß ausgerechnet die Situation im Iran zum Auslöser der deutschen Studentenbewegung werden konnte. Ging es damals nicht viel mehr um den Krieg in Vietnam?

Bahman Nirumand: Das war wirklich ein Zufall der Geschichte, in die ich auch eher zufällig hineingeriet. Ich war bis 1965 als Dozent im Goethe-Institut in Teheran. Damals kam Hans Magnus Enzensberger zu einer Lesung nach Teheran. Wir haben uns dort kennengelernt, und Enzensberger sagte zu mir: Du mußt unbedingt ein Buch über die Zustände im Iran machen. Das ist ja fürchterlich hier, und niemand in Deutschland weiß davon. Als ich ein Jahr später flüchten mußte und nach Deutschland, wo ich studiert hatte, zurückkam, hat Enzensberger mir dann tatsächlich geholfen, für ein Iran- Buch einen Verlag zu finden. Zu dem Zeitpunkt wußten wir beide nicht, daß der Schah Deutschland besuchen würde. Aber wie es der Zufall eben wollte, war das Buch, in dem in Deutschland zum erstenmal die Situation im Iran kritisch geschildert wurde, wenige Wochen vor dem Schah-Besuch rechtzeitig auf dem Markt. Zu dem Buch sollte an der Freien Universität eine Veranstaltung stattfinden, die dann auf den Vorabend des Schah- Besuchs festgelegt wurde. Daraufhin hat die iranische Botschaft im Auswärtigen Amt protestiert, und der Berliner Senat hat dann prompt versucht, die FU dazu zu bringen, die Veranstaltung zu verbieten. Es kam zu einem wochenlangen Streit zwischen Universität und Senat, der jeden Tag Schlagzeilen machte.

Also beste Publicity?

Genau. Ich habe dann vor dem Schah-Besuch noch mit Vertretern des SDS gesprochen, also mit Rudi Dutschke, Christian Semler und anderen. Ich habe gesagt, wir müssen unbedingt was machen, wenn der Schah kommt, aber die wollten nicht. Soll doch dieser Operettenkaiser kommen, was sollen wir da, meinten die Strategen des SDS. Wir dürfen jetzt nicht von Vietnam auf Iran ablenken. Dann bin ich zur Kommune 1 gegangen, und die waren begeistert. Der Operettenkaiser und die Spaßguerilla von Kommune 1, das paßte. Kurz vor dem Termin ist dann auch der SDS in die Kampagne eingestiegen, und die Konföderation iranischer Studenten (Cisnu) war sehr aktiv. Alle diese Faktoren haben dazu beigetragen, daß der Schah-Besuch zu einem politisch wichtigen Ereignis wurde.

Wie haben die Bundesregierung und der Berliner Senat darauf reagiert?

Es gab ein ziemliches Chaos, das vom iranischen Geheimdienst mit unsinnigen Sicherheitsanforderungen noch gesteigert wurde. Die verlangten, daß Exiliraner ihre Wohnungen räumen sollten, daß Autobahnen gesperrt werden etc. Dieser Unsinn traf auf einen völligen Dilettantismus der deutschen Polizei, die solche Situationen noch nicht kannte. In der Bürokratie ging auch alles durcheinander. Das ging soweit, daß mich jemand vom Auswärtigen Amt anrief und sagte: Ich habe eine Bitte an Sie, geben Sie mir bitte auf eine Frage eine ehrliche Antwort. Planen Sie ein Attentat auf den Schah?

Für die Studenten wurde also mit dem Schah-Besuch der Iran zu einer unmittelbareren Erfahrung als Vietnam?

Ja, Vietnam war weit weg, für viele zu abstrakt und nicht nachvollziehbar. Der Schah-Besuch war dagegen etwas ganz Konkretes, an dem sich das Verhältnis zwischen der Dritten Welt und den Metropolen zeigen ließ und an dem die Verlogenheit der deutschen Außenpolitik klar wurde. Der Besuch wurde so zu dem besten Anschauungsuntericht, den man der neuen Bewegung geben konnte.

Der eigentliche Anstoß für die meisten Studenten kam aber doch durch den Todesschuß auf Benno Ohnesorg.

Ja, natürlich. Aber dieser Schuß war ja der Gipfel polizeilicher Dummheit während des ganzen Besuchs. Das begann mit den Jubelpersern, die vor den Augen der Polizei die Schaulustigen am Schöneberger Rathaus zusammenschlugen. Dann die sogenannte Leberwursttaktik der Polizei am Abend vor der Oper, als die Leute zusammengedrängt und zusammengeknüppelt wurden, was letztlich zu einer Panik führte. Zuerst wurde ja noch über das Radio verbreitet, es sei ein Polizist erschossen worden, bis dann später bekannt wurde, daß, genau im Gegenteil, die Polizei einen Studenten erschossen hat. Der damalige Regierende Bürgermeister Albertz hat mir später erzählt, daß der Schah, als er davon erfuhr, zu ihm sagte: Machen Sie sich nichts daraus, daß kommt bei mir jeden Tag vor. Da war Albertz klar, daß das ein Verbrecher war.

Der Grund, warum dieser 2. Juni 1967 zu so einer Initialzündung werden konnte, war doch, wie die Politiker in Berlin und in Bonn dann damit umgingen?

Die offizielle Seite hat ja den Schah bis zuletzt als Vertreter eines befreundeten, wichtigen Landes hofiert. Aber der Besuch hat doch viel deutlich gemacht. Vielen wurde der Widerspruch zwischen der Verfassung und der Verfassungswirklichkeit, dem, was über Menschrechte erzählt wurde und dem, wie dann tatsächlich gehandelt wurde, klar. Bei Hunderttausenden fiel in diesen Tagen der Groschen. Die meisten Deutschen waren ja bis dahin völlig unpolitisch. Eine zufriedene, konsumorientierte, national ausgerichtete Gesellschaft. Dann kam der Bruch. Plötzlich begann die junge Generation politisch grundsätzliche Fragen zu stellen und die politische Praxis am Anspruch der Verfassung zu messen.

Warum kam eigentlich die Auseinandersetzung um den deutschen Faschismus über den Umweg der Dritten Welt in die Wohnstuben?

Weil sich das Mißverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit am Verhältnis zur Dritten Welt enthüllte. Es waren ganz einfache Fragen, die da gestellt wurden. Warum wird jemand wie der Schah von uns so hofiert? Was passiert mit dem Geld aus dem Iran-Geschäft? Was machen die Amerikaner in Vietnam? Daraus kamen dann Fragen wie, was sind wir eigentlich für ein Land?

Welche Rolle spielten dann die Vertreter der Dritten Welt noch? Wart ihr ab diesem Zeitpunkt nicht völlig außen vor? Hattet ihr als Katalysatoren ausgedient?

Generell ja. Allerdings war in der Anfangsphase jeder Vertreter aus der Dritten Welt ein Held. Die Studentenbewegung war sich über den autoritären Charakter der meisten Befreiungsbewegungen überhaupt nicht im klaren. Aber man wollte es auch gar nicht so genau wissen, denn im Grunde ging es ja um die eigene Befreiung.

Die Dritte Welt also als Projektionsfläche?

Ja, deshalb ließ das Interesse dann auch ziemlich schnell nach. Die Beschäftigung mit der Dritten Welt war ein Mittel zum Zweck der Bewußtwerdung der eigenen Gesellschaft. Das führte dazu, daß die außerparlamentarische Opposition mit der eigenen Gesellschaft sehr radikal ins Gericht ging. In allen gesellschaftlichen Bereichen, bis hin zu Literatur und Kunst, landete alles im Keller. Das ganze öffentliche und private Leben wurde auf den Kopf gestellt. Erst durch diesen Schock wurde Deutschland aus einer nationalen, provinziellen, sehr geschlossenen Gesellschaft geöffnet und zu einer modernen Gesellschaft.

Welche Rolle haben diejenigen, die die Dritte Welt in Deutschland darstellten, dabei gespielt, was war mit den sogenannten Gastarbeitern?

Gastarbeiter lebten fast ausschließlich im Ghetto. In den Augen der bürgerliche Gesellschaft galten sie als Dienstboten. Ausländische Studenten waren interessante Exoten. Innerhalb weniger Jahre gab es dann plötzlich Freiräume, vor allem auf der Straße. Die Deutschen kannten die Straße nur zum Autofahren, nicht zum Leben. Das änderte sich plötzlich. Überall vollzog sich eine Öffnung, zum Beispiel in der Musik. Plötzlich konnte man in Deutschland italienische, sogar arabische Musik hören. Die Studentenbewegung hat einen kulturellen Schritt bewirkt, der bleibt, hinter den die deutsche Gesellschaft nicht mehr zurückgehen wird.

War diese Öffnung dann auch gleichzeitig eine Demokratisierung der Gesellschaft? Sind die demokratischen Errungenschaften der Bundesrepublik stabil?

Ich habe Anfang der 70er Jahre das Gefühl gehabt, endlich hat Deutschland es geschafft. Endlich haben sich die Deutschen aus dem 19. Jahrhundert verabschiedet und eine offene, demokratische Gesellschaft etabliert, in der auch Menschen wie ich sich zu Hause fühlen können. Meine ersten Zweifel kamen 1976/77. Die Art und Weise, wie die Sicherheitsorgane, die Politik und die Bevölkerung mit den Terroristen umgegangen sind, hat mich sehr nachenklich gemacht. Obwohl die Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt befürchten mußte, daß diese bewaffneten Gruppen irgendeine Chance hatten, die Bevölkerung auf ihre Seite zu bekommen, hat man zu den Waffen gegriffen, statt sich mit demokratischen Mitteln zur Wehr zu setzen. Die Zweifel von damals haben sich bestätigt, als Kohl seine Wende ankündigte, und vor allem nach der deutschen Einheit. Ich fürchte, die deutsche Demokratie ist nach wie vor nicht stabil.

Brauchen wir also eine zweite Kulturrevolution?

Ja schon, aber die sehe ich nicht. Die Jugend ist heute viel zu sehr mit ihrer Existenzsicherung beschäftigt. Das brauchten wir damals nicht. Die Gesellschaft war reich genug. Die Bewegung gedieh auf der Grundlage des wirtschaftlichen Booms in ganz Westeuropa und in den USA. Der Aufstand war eine Reaktion auf den zweiten Weltkrieg, genau zu dem Zeitpunkt, als er wirtschaftlich möglich wurde.

Glauben Sie, daß ein Regierungswechsel zu Rot-Grün einen solchen zweiten Sprung bringen könnte?

Das glaube ich nicht. Erstens hat die Opposition ja auch nicht viel zu bieten und zweitens kann so etwas nicht von oben kommen. Die Grünen als die Nachfolger der damaligen Bewegung sind dabei, die Chance zu verpassen, Lösungen zusammen mit der Gesellschaft zu suchen. Sie müssen, wenn sie nicht das Schicksal der FDP erleiden wollen, ihre historische Aufgabe, die Gesellschaft auf diesen zweiten Sprung vorzubereiten, auch wahrnehmen. Interview: Jürgen Gottschlich