„Bewaffneter Arm der APO“

1972 gründete sich in West-Berlin die „Bewegung 2. Juni“  ■ Von Wolfgang Gast

Der Name sollte Programm sein. „Bewegung des 2. Juni“ hatte eine Genossin vorgeschlagen. Jedesmal, wenn Polizei oder Medien von der Gruppe berichteten, müßten sie dann auch an die Ermordung von Benno Ohnesorg erinnern. Der Begriff „Bewegung“, begründete die Genossin weiter, müsse sein, weil der Gruppe vorschwebe, keine geschlossene Kaderorganisation wie die Rote Armee Fraktion (RAF) aufzubauen. Der Name wurde mit geringfügiger Korrektur gewählt: „Bewegung 2. Juni“ nannte sich schließlich die Stadtguerilla im Frühjahr 1972 im Westen des geteilten Berlins. Die Gruppe, erinnert sich heute der frühere Militante Till Meyer, wollte so etwas wie den „bewaffneten Arm der außerparlamentarischen Opposition“ aufbauen.

Entstanden war der „2. Juni“ aus einer Vielzahl von Gruppen und Grüppchen, die zusammen den „Blues“, eine Subkultur der antiautoritären Linken im Westteil Berlins, bildeten. Als Selbstverständnis sollte die Gruppe später formulieren: „Die Bewegung 2. Juni wurde in einer Phase von antiimperialistischem Massenkampf geboren. Aus den Haschrebellen und der proletarischen Subkultur formierte sich eine Gruppe, die vor allem die Justizkampagne und militante Aktionen unterstützend vorantrieb ... So wurde z.B. während des Einmarsches der US-Armee in Kambodscha noch in derselben Nacht das von Bereitschaftspolizei bewachte Amerika Haus in West-Berlin von 20 Genossen mit Mollis, Steinen und Stangen angegriffen. Wenige Tage später – aus den Massendemonstrationen heraus – gingen die letzten Scheiben dieses imperialistischen Kulturzentrums zu Bruch ... den bewaffneten Bullen gegenüber verteidigten sich die Militanten mit Steinen, Stahlkugeln und aufgeschweißten Eisenplatten.“

Von Massenmilitanz konnte nicht gesprochen werden, eher von Aktionen kleiner autonomer militanter Zirkel. Schon bald brachte eine dieser Gruppen sich nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei anderen Teilen der „Bewegung 2. Juni“ in Mißkredit. Nach dem „Blutsonntag von Derry“ – am 30. Januar 1972 hatte die britische Polizei in einen Beerdigungszug geschossen und 13 Katholiken getötet – beschloß man im Berliner Untergrund, Vergeltungsaktionen durchzuführen. Eine Gruppe um die agile „Schwarze Hilfe“-Aktivistin Inge Viett machte sich daran, einen selbstgebauten Sprengsatz im britischen Yachtclub im Berliner Stadteil Gatow unterzubringen.

Als der Bootsbauer Erwin Belitz am nächsten Morgen den umgebauten Feuerlöscher vor der Tür der Werkstatt fand, spannte er den Sprengsatz ahnungslos in seinen Schraubstock. Belitz wurde bei der anschließenden Explosion zerfetzt.

Anders als die im Jahr zuvor ins Leben gerufene „Rote Armee Fraktion“ agierte die „Bewegung 2. Juni“ hauptsächlich in Berlin. Zu ihrer besten Zeit verübte sie bis zu drei Banküberfälle am Tag. Trotz intensiver Fahndung war sie in der der Lage, 30.000 Haushalten innerhalb kürzester Zeit ihre Erklärungen via Briefkasten zukommen zu lassen.

Am 27. Februar 1975, kurz vor den Landtagswahlen in Berlin, entführte ein Kommando den damaligen CDU-Spitzenkandidaten Peter Lorenz. Im Austausch mit Lorenz gelang es, fünf Inhaftierte der militanten Linken zu befreien. Es war die spektakulärste Aktion der „Bewegung 2. Juni“ und zugleich auch schon die letzte geglückte Gefangenenfreipressung der Guerilla in Westdeutschland.

Die Aktivisten des „2. Juni“ zahlten teuer für das militante Engagement. Inge Viett ging später zur RAF, dann in die DDR. Sie wurde nach der Wende festgenommen und verurteilt. Ina Siepmann kam beim Einmarsch der Israelis im Libanon 1982 ums Leben. Gabriele Kröcher-Tiedemann, nach fast 15 Jahren Haft gerade kurz in Freiheit, starb an Krebs. Verena Becker wurde wegen schwerer Krankheit vorzeitig entlassen. Rolf Heißler, der bei seiner Festnahme durch einen Kopfschuß schwer verletzt wurde, sitzt noch heute in Haft. Till Meyer war 13 Jahre, Gabriele Rollnick, Angelika Goder, Ralf Reinders und Ronald Frisch blieben noch länger inhaftiert.