Die Geschichte eines Fotos, das jeder kennt

Es ist das Foto vom 2. Juni 1967. Benno Ohnesorg liegt erschossen auf der Straße, eine junge Frau hält seinen Kopf. Das Foto ist weltberühmt. Es erschien in dem Buch „Die besten Bilder des Jahrhunderts“. Wie einige dieser Jahrhundertbilder entstand auch dieses zufällig. „Aber was ist schon Zufall“, sagt Jürgen Henschel. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Der damals 43jährige Fotojournalist Jürgen Henschel ist am 2. Juni 1967 den ganzen Tag unterwegs. Er erlebt, wie die Stimmung von Stunde zu Stunde aggressiver wird. Zu den härtesten Auseinandersetzungen kommt es am Abend anläßlich des geplanten Opernbesuches von Schah und Schahbanu. Tausende säumen den Kaiserdamm, obwohl die Riesenfläche vor der Deutschen Oper abgeriegelt ist. Henschel, der für die SEW-Zeitung Die Wahrheit arbeitet, wird, wie andere Journalisten auch, am Fotografieren gehindert. Plötzlich bekommt die Polizei den Befehl, die Straße vor der Oper „freizumachen“. Alle werden gewaltsam in die Nebenstraßen gedrängt. Henschel drückt immer wieder auf den Auslöser. Plötzlich sieht er in einer Garageneinfahrt in der Krumme Straße einen am Kopf verletzten jungen Mann liegen, der von einer Frau versorgt wird. Er redet mit der Frau kein einziges Wort. (Später stellt sich heraus, daß es sich um Friederike Dollinger handelt, eine Studentin der Altphilologie an der FU. Heute heißt sie Friederike Haußmann, ist eine ausgezeichnete Italienkennerin und Buchautorin.) Henschel macht nur eine Aufnahme, später noch eine, als der junge Mann auf einer Trage in ein Sanitätsauto gebracht wird. Henschel glaubt, daß der Mann noch lebt.

Am nächsten Morgen hört er im Rundfunk, daß bei dem Polizeieinsatz ein Jugendlicher ums Leben gekommen ist. Er kauft sich den Abend, auf der Titelseite ist ein Foto des erschossenen Benno Ohnesorg. Als Henschel das Bild sieht, denkt er sofort: Das ist der von gestern abend. Er rennt nach Hause und entwickelt auf der verdunkelten Toilette, seinem Labor, den Film. Als er die Abzüge gemacht hat, war klar: Er hatte Benno Ohnesorg fotografiert.

Er wählt vom Originalfoto einen Ausschnitt, der die Stimmung seiner Meinung nach am besten wiedergibt; auf dem Foto selbst ist Ohnesorg ganz zu sehen. Am Nachmittag geht Henschel in den „Republikanischen Club“, wo er andere Journalisten trifft. Er hat einige Abzüge mitgenommen. Ein paar Tage später erscheint das Foto im FU- Spiegel das erste Mal. Danach immer wieder. Jens König