Ein Sündenfall im Königreich

■ Ein Tag im Mai von Anders Rønnow-Klarlund schickt drei Solitäre in eine Schlacht der Jeinsager

Auch Dänemark, das friedliebende Königreich mit der fröhlichsten Lebensmittelfarbpalette, in dem Vanillepudding in Tüten fließt, erlebte seinen nationalen Sündenfall. Am 18. Mai 1993 regnete es unter dem Himmel von Kopenhagen Bierflaschen und Brandgeschosse. Nach einem wenig vehementen „Nein“(51 Prozent des befragten Volkes) zu den Maastrichter Verträgen hat-ten sich die Dänen bei diesem zweiten Wahlgang zu einem kaum überzeugenderen „Ja“(ebenfalls 51 Prozent) durchgerungen. Und als gelte es, die launischen 2 Prozent um jeden Preis bei einer ausgiebigen Straßenkeilerei zu erwischen, kloppten sich gleich alle Jeinsager in Kopenhagen.

Diesen Karneval der Ausnahmezustände nutzt Anders Rønnow-Klarlund als rabiate Kulisse für seinen eindrucksvollen Debütfilm Ein Tag im Mai. Zwischen authentischen TV-Bildern von Wahlkampfkundgebungen und Anti-Europa-Demonstrationen entspinnt der 26jährige drei Geschichten, die der Zufall mit kleinen, tragischen Details elegant verkittet.

Michael, ein Kundenbetreuer mit unschönem Autoverkäuferlächeln, rüstet sich zum alles entscheidenden Ellenbogenkrieg gegen seine Kollegin. Doch wenn er um die Gunst des Chefs und eines europäischen Großkunden ringt, trennt ihn nur ein Schnitt von der Heilanstalt, in der Jens einsitzt. Mit Jens verschwinden die Farben. Ganz so, als zollten sie Jens' verblüffendem Tatmotiv für den Mord an seinem Malermeister (“Der benutzte immer zu viele Farben“) ängstlichen Respekt. Auch die Tonspur verhält sich ruhig. Und ein paar Sekunden hört man nichts als eine stumme Rollschuhläuferin, die auf den Fluren ihre immergleichen Bahnen zieht. Zusammen mit Jens, der seine außerklinische Liebe retten will, haut sie ab in den Lärm der Straße. Die Kamera umkreist die beiden und bindet sie wie ein unsichtbares Lasso für alles Folgende zusammen. Die unterdrückte Panik der beiden gipfelt bald in einen hastigen Aktionismus, der am Ende die Unbeteiligte im ganzen Film trifft, Ullas Tochter.

Ulla, eine Sängerin, schützen Selbstbetrug und Euphemismus verläßlich vor der Verachtung. Sie glaubt an ihre mütterlichen Qualitäten, trotzdem sie fast den Geburtstag ihrer Tochter verschwitzt, und, seit kurzem, an ihren eigenen Erfolg. Doch auch sie wirkt wie die anderen, egal ob sie nicht richtig ticken oder lieben können, im Universum ihrer minimalistischen Geschichten wie eingekerkert. Gefangen in ihren Fehlern, Leidenschaften und den Lebensentwürfen beschränkter Mittelklasse-Lügner. Kunstvoll tunkt der Film sie allesamt mal in die warmen Farben einer vorabendlichen Familienserie oder in das kalte Licht der Klinik. Er läßt sie in dem Gewirr der Straßenschlachten verlorengehen oder schubst sie in die kühle Geometrie der Büros. Wenn Michaels übereifrige Kundenbetreuung im Knast endet, Ulla den von Demonstranten angeschossenen Jens ins Krankenhaus bringt und auch später keine Ahnung hat, daß der Verwirrte ihre Tochter überfahren hat, ereignet sich dies in logischen Freiräumen, die sich Ein Tag im Mai immer wieder zum narrativen Luftholen schafft. Keine Schicksalhaftigkeit soll bewiesen, keiner Trübsal über den deplorablen Zustand der Welt geschmeichelt werden. Und das europäische Feuerwerk, das einsetzt, als das EKG der Tochter die Todeslinie malt und die Straßenkämpfer schon Tennisarme bekommen, gibt es am Ende für alle Zusammengestauchten gratis. Birgit Glombitza

Abaton