Fremdes, ganz nah

■ Der finnische Sáme Wimme joikt mit Techno-Jazz-Musikern

Irgendwie muß es im Rachen des Sámen Wimme ganz anders aussehen als in einem durchschnittlichen westeuropäischen Hals. Fast so knödelig-gequetscht wie man es von Arabern und Balkanesen gewohnt ist, umgurrt Wimme die Töne. Seine traditionellen, unbegleiteten „Joiks“hören sich an wie die Imitation von mittelalterlichen Instrumenten mit Bordunsaite oder -rohr: die Stimme bewegt sich in einem engen Ambitus, springt dann aber immer wieder zu einem gleichbleibenden, tiefen Ton, eine Quinte oder eine Oktave darunter. „Nicht das Imitieren eines Instruments! Hier werden Tiere, ein Fuchs, ein Bär, nachempfunden“, korrigiert Wimme.

Im Glashaus des Cáfe Sand zeigte Wimme – auf Einladung der deutsch-finnischen Gesellschaft – aber nicht nur das, was er einst seiner Mutter abgelauscht hat. Viel interessanter: er demonstriert uns, daß selbst eine weltabgelegene Minderheitenkultur ihren höchsteigenen Zugang zum global village findet. Niemand wird ausgeschlossen – zumindest kulturell. Auch nicht die gerade mal 70.000 Sámen, die verstreut über Norwegen, Schweden, Finnland und die russische Kola-Halbinsel um ihr Recht auf eigene Kultur/Sprache/Sozialstruktur kämpfen.

Mit „Rinneradio“, einer Art meditativem Techno-Jazz dreier betagter Herren, probt Wimme die Fusion und füllt den Begriff Weltmusik mit einem neuen, aufregenden Fitzelchen Leben. Redundante, also kontemplationsfördernde Strukturen sind das Bindeglied zwischen den so weit voneinander entfernten musikalischen Terrains. Ein bißchen wie in der minimal music geht es beiden Partnern eher um Verdichten (durch Wiederholen) als um Erweitern (durch Verändern).

„Literarische“Klänge aus dem Keyboard – Meeressäuseln, Vogelgezwitscher, Buschtrommeln – mischen sich mit Klangmalereien aus Wimmes Mund, Gurgeln, Krächzen, Sturmböhen... Fremdes, ganz nah. Und am Himmel ziehen die Wolken ihrer Wege; auch sie wissen um keine Grenzen.

Kennt Wimme die Kehlkopf-akrobatik der „hiesigen“Avantgarde, Meredith Monk, Greetje Bijma? „Nein, ich höre wenig Musik. Höchstens die der Inuits und Indianer. Meine Musik speist sich aus mir selbst, aus meinen Träumen. Es ist Traummusik. Deshalb auch wird sie überall verstanden, in Japan, Rußland...“– selbst in Bremen.

Das Joiken, erzählt Wimme, ist keine liturgische Musik, sondern eine des Alltags, mit der man Feste feiert. Wie bei so vielen fremdartigen Musikkulturen, etwa der jüdischen oder der alpenländisch-bayerischen, erlebt das Alttradierte jetzt, kurz vor seinem endgültigen Dahinsiechen, eine neue Renaissance. Er sei da keine einsame Ausnahme, meint Wimme. Auch andere versuchen sich in einer Aktualisierung des Erbes.

Die von Wimme und Rinneradio ist jedenfalls geglückt.

Barbara Kern

Zu überprüfen ist dies Glück auf Radio Bremen 2 am 17. August um 22.05 Uhr