piwik no script img

Mundgeruch und Judasküsse

■ Eine Reihe im 3001 zeigt Spione, Spitzel, Denunzianten und andere Mitteilungsbedürftige

Ihr Ruf ist schäbig, ihre Ehrbarkeit für immer ranzig. Und niemand würde es wundern, wenn sie aus dem Mund nach Fäulnis und Verderben stinken würden. Sie sind Amateure der Informationsbeschaffung, und ihre Motive, Freunde, Verwandte oder Kollegen auszuhorchen, lassen sich wohl nicht immer durch staatliche Knebelandrohungen erhellen. Die perfidesten Erfolge in der Terrorgeschichte der Gestapo verdanken sich dem erschwinglichen Mitteilungsbedürfnis des kleinen Mannes. Und ob acht Millionen Brüder und Schwestern im Osten ebenso viele Geschwister bespitzelt haben oder nicht, das Denunziantentum scheint nicht nur der Kitt zwischen SED-Macht und Masse zu sein, sondern auch ein schlicht deutscher Katechismus vom risikolosen Helden- oder Schurkentum.

Die sechs Filme, die das 3001 zu dem Thema „Spione, Spitzel, Denunzianten“zu einer Reihe gefaßt hat, schildern mit Geschichten aus dem Kalten Krieg, wie Noel Field. Der erfundene Spion, aus dem stalinistischen Terror wie Michalkovs Die Sonne, die uns täuscht, dessen historischer Plot das Ende der UdSSR 50 Jahre später vorwegnimmt, dem Fall der Jean Seberg. American Actress, deren umtriebige Verbindungen zu den Black Panthers CIA-Akten füllten, oder Mauergeschichten wie Der Kinnhaken und IM-Intrigen wie Der Blaue (beide werden zum ersten Mal in Hamburg gezeigt) die unterschiedlichsten Judasküsse.

Ob die lukrative Pflichterfüllung als Staatsbürgertugend eine hinterfotzige Gewaltphantasie befriedigt oder sich tatsächlich in den schlichten Windungen des legalistischen Kleingeistes zur ehrbaren Rebellion gegen Verfassungsfeinde rüstet, für Helene Schwärzel jedenfalls war der Tag, dem sie Dr. Goerdeler auf dem Bahnsteig begegnete, vermutlich der schönste in ihrem kohlsuppentrüben Leben. Entsprechend sonnendurchflutet sind die Bilder in Thomas Mitscherlichs ansonsten eher düsterem Film Die Denunziantin, in dem eine alle überspielende Katharina Thalbach die Verräterin gibt. Der Großbürger, der als ziviler Kopf des Widerstandes gilt und auf dessen Kopf 1 Million Reichsmark gesetzt waren, lüftete vor der kleinen Wehrmachtshelferin den Hut. Eine Geste, deren lässiges Übersehen aller Schmuddeligkeiten und Klassengrenzen die nur am Leben Knabbernde bezaubert und wohl auch empört haben muß. Nichts hinterläßt eine größere Beule auf der Seele Kleinmütiger als die selbstverständlichen Rituale von Souveränität und Größe. Daß sie am Ende den ehemaligen Bürgermeister von Leipzig seinen Henkern übergibt, bringt jedoch weniger Genugtuung als erhofft. Die kleine Dosis Selbstgefälligkeit ist schnell verbraucht, spätestens als ihre sterbende Mutter sich von Helene mit unverhohlenem Abscheu verabschiedet. Auch die Justiz im zertrümmerten Deutschland sehnt sich nach Reinwaschung und beginnt einen Schauprozeß im Dienste „des gesunden Volksempfindens“. Die Denunziantin wird denunziert. Ihre Auftraggeber klatschen Beifall. Ihnen geschieht nichts.

Authentischer Verrat grundierte auch das Drehbuch zu Lienhard Wawrzyns Der Blaue. Manfred Krug spielt Otto Krodt, einen süffisanten Tierarzt, der seinen Freund Kalle (Ulrich Mühe) und dessen Republikflucht an die Stasi verrät. Der bespitzelte Apfelbauer wandert nach Bautzen. Nach der Maueröffnung richtet sich Skrodt behaglich im Westen ein, bis Kalle bei ihm anklopft, die ganze Freundschaftslüge im Handgepäck. Noch einmal wird im Kreis intrigriert, bis alle Skrodts sich gegenseitig nicht mehr ohne Brechreiz in die Augen schauen können.

Eine Rarität des Programms ist Heinz Thiels mauerfreundlicher Film Der Kinnhaken von 1962 mit Manfred Krug als edlem Grenzer, der das im Westen gefallene Mädchen Carolin an sein sozialistisches Herz drückt. Eine bezaubernde Liebesgeschichte, die sich mit spröd-poetischen Dialogen zur Allegorie auf real existierende Herzigkeit aufschwingt.

Birgit Glombitza 3001, Filme siehe Übersicht

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen