Scheppernde Gefühligkeiten mit Pferd

■ Salvador Tavora und die Cuadra de Sevilla gastieren mit Carmen in der Staatsoper

„Sie wollte frei sein, obwohl sie arm, Frau, Arbeiterin und Zigeunerin war.“Der Regisseur Salvador Tavora befreit die Carmen-Legende vom Kitsch und der romantischen Verklärung der gängigen Operntradition. Denn das Theater, so Tavora, habe das wirkliche Bild seines Volkes von der stolzen Arbeiterin aus Triana beerdigt. Mit seiner Inszenierung, die ab heute in der Staatsoper gastiert, will er den andalusischen Menschen ihre Tänze und Gesänge zurückgeben, die ihnen durch die „schamlose Folklore“genommen worden seien.

Die historische Recherche des Andalusiers revidiert die Carmen-Geschichte der literarischen Schöpfung von Prosper Mérimée. So handelte es sich bei der todbringenden Liebschaft der Zigarettenfabrikarbeiterin Carmen nicht um einen Torero, sondern um einen Picador. Da es deren Aufgabe ist, den Stier vor dem Kampf mit Lanzenstichen in Rage zu bringen, wird sich auch ein Pferd auf der Bühne befinden. Die Szenen mit dem majestätischen Tier gehören laut Ankündigung zu dem Spektakulärsten, was das europäische Theater derzeit zu bieten hat.

Die Geschichte der Carmen wird aus der Sicht alter Fabrikarbeiterinnen erzählt. Damit soll nicht nur an die mündliche Überlieferung der Carmen-Legende erinnert werden. Indem die Frauen, ebenso wie die Banda, die Kapelle aus Trommeln und Hörnern, das Spiel kommentieren, bleibt der historische Kontext präsent. Denn Tavora will kein zeitloses Schauspiel. Die Musik enthält nur ganze zwei Passagen aus der berühmten George-Bizet-Oper. Die neue Instrumentierung entspringt der Militärmusik und den traditionellen Volksliedern des 19. Jahrhunderts und klingt ungewöhnlich scheppernd und gemütvoll zugleich. Es läßt sich aber nicht sagen, ob Musik, Tanz, Schauspiel oder Gesang im Vordergrund steht. So will sich die unkonventionelle Oper bewußt dem traditionellen Schema der Kunstbetrachtung entziehen.

Seit 25 Jahren feiern Salvador Tavora und La Cuadra de Sevilla als wichtige Vertreter der andalusischen Kultur internationale Erfolge. Ein Gastspiel der Truppe in Deutschland war längst überfällig. Der Regisseur zu seiner Carmen- Inszenierung: „Sie hat den Tiefgang der griechischen Tragödie, die Emotionalität der Oper und das Spektakuläre des Zirkus!“

Birgit J. Neumann

ab Do, 14. August, 20 Uhr, Staatsoper, bis 31. August