Mein erstes Mal

■ Heute: Michael Weins, Laola-Club-Besitzer und Veranstalter von Hahnekämpfen über Jungens, lebendige Schraubstöcke und über sein erstes Brandzeichen

Mein erstes Brandzeichen setzte ich mit siebzehn. Ich war Gymnasiast, und es ging um eine Rose. Sie zierte den Unterarm meines besten Freundes.

Die Stimme meines Freundes am Telefon klang kategorisch. „Was kostet so 'ne Operation?“, fragte ich. Damals waren Tattoos noch nicht angesagt. Tätowierungen gehörten zu Seemännern und anderen Alkoholikern. Er hatte eine Rose auf dem rechten Unterarm, die Blütenblätter durch die Jahre blaßrot geworden. „Egal, ist mir in jedem Fall zu teuer.“Sven kam aus dem Ghetto, Hochhaussiedlung an der Lutterothstraße. Der erste Geschlechtsverkehr mit elf im Treppenhaus, mit vierzehn boxte er in der „Ritze“auf dem Kiez. Wenn bei uns in der Gegend einer „Sven Giese“sagte, dann zuckten zwei zusammen, und ein dritter machte einen verwegenen Gesichtsausdruck. Das ist der Grund, warum ich mit ihm befreundet war.

„Das Ding kommt weg, so oder so. Seit ich dreizehn bin, renn ich mit der Rose rum. Wenn ich Leute kennenlern, dann sehn die immer gleich die Tätowierung, und du hörst die Schubladen klappern. Du kannst mir helfen oder nicht.“Sein Problem war, raus zu wollen aus der alten Haut, sein Plan einfach, aber konsequent. Ich fand es sinnvoller, ihm zu helfen.

Zwei Tage später trafen wir uns mit vier anderen Freunden in der Dämmerung bei den Grillplätzen im Niendorfer Gehege. Wir schleppten Bier, Wodka und Fernet Branca in die Dämmerung. Ein Feuer wurde entfacht, wir legten mutwillig los mit saufen. Nach einer Stunde konnte Sven keine unbeweglichen Ziele mehr fixieren. Es war dunkel. Die Glut flackerte etwas Archaisches in unsere klammen Mienen. Er krempelte seinen Ärmel hoch und versenkte sich in die Tätowierung. Ich zog ihn vom Grillrost weg, stieß ihn ins Schwarz des Waldes. Sein Kreislauf sollte Alkohol statt Blut ins Hirn pumpen, er sollte so blau sein, daß er mit dem Leichnam seiner Mutter ins Bett gegangen wäre. Wir legten einen wackeligen Sprint hin. Unter den Schemen einer Eiche zwang ich ihn zum Kopfstand.

Zurück beim Grillplatz hatten die anderen den Spachtel in die Glut gelegt. In ihren aufgerissenen Augen spiegelte sich Nacht und Dummheit. Man reichte mir den Spachtel, der selbst nichts als Glut war, hellrot strahlte die Hitze in meiner Hand. Ich war Svens bester Freund. Ich mußte es machen. Für beste Freunde macht man Dinge, die man für andere Menschen nicht tut. Oder aus anderen Motiven.

Sven ging auf die Knie und stemmte den nackten Arm auf einen Holztisch. Mit einem Mal war er stocknüchtern. „Packt mich richtig fest, auch wenn ich schreie. Laßt mich auf keinen Fall los.“Ich habe Sven nie schreien gehört, auch nicht, als ihm ein Typ mit dem Messer ins Ohr geschnitten hat. Nur einmal stöhnen in einer turbulenten Maschine auf dem Dom.

Die vier anderen wanden sich ihn um Arme und Beine, ein lebendiger Schraubstock. Ich sah die Muskeln auf seinen Kiefern dick hervortreten. Wir blickten uns nicht in die Augen. Die Sterne brannten den Himmel nieder, ich schluckte oder holte Luft und drückte ihm den Spachtel ins Fleisch. Zischen. Dampf. Gestank. Drei Sekunden, länger hielt ich nicht durch. Sven machte keinen Mucks aber seine Anspannung hätte eine Lokomotive bewegt. Ich hob den Spachtel von der Wunde; in einem Film wäre es zum Lachen gewesen. Strahlender denn je leuchtete die Rose aus dem reinen Weiß der unteren Hautschichten.

Drei Tage später hat er sich allein mit einem Skalpell behandelt, wütend Schnipsel für Schnipsel aus der Wunde geschabt. Danach ging er zum Arzt, der ihm sagte, er sei ein Idiot und seine Freunde auch. Eine Laserentfernung hätte nur vierhundert Mark gekostet. Ich hätte ihm liebend gern dreihundert dazugegeben. Jetzt trägt Sven da, wo einmal eine Rose war, ein Stück Oberschenkelhaut, groß wie eine Zigarettenschachtel mit krauseligen, schwarzen Borsten.

Auch nicht schön.

Michael Weins