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Rotgrün nur mit Willfried Maier

■ „Mit Maier würde ich eine Koalition auf Handschlag gründen. Ohne Verhandlungen“– der Erste Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) im taz-Interview über Krisen, Krista, Koalitionen

taz: Im Unterschied zur letzten Wahl 1993 sind Sie inzwischen ein bundesweit bekannter SPD- Politiker geworden. Stärkt das Ihr Selbstbewußtsein gegenüber der GAL-Spitzenkandidatin Krista Sager, die schon damals weit über Hamburgs Grenzen hinaus ein Begriff war?

Henning Voscherau: Nein, das hat keinerlei Zusammenhang. Die politische Auseinandersetzung zwischen Frau Sager und mir ist keine Frage des Selbstbewußtseins.

Wieso haben Sie eigentlich den grünen Fraktionschef Willfried Maier so ins Herz geschlossen?

Ich halte ihn für einen hochintelligenten, ausgesprochen arbeitssamen und charakterlich integren Menschen.

Tüchtig haben Sie ausgelassen.

Das ergibt sich aus der Summe.

Über Krista Sager haben Sie kurz nach ihrer Rückkehr gesagt, sie sei eine „brillante Verkörperung grüner Inhalte“. Wenig später, fanden Sie, bei ihr sei „der Lack ab“. Was stimmt nun?

Beides. Ihre Medienwirksamkeit ist für meine Partei ein Problem. Sie wird das GAL-Ergebnis nach oben verändern, und zwar zu Lasten der SPD. Der zweite Eindruck, der Lack ist ab, entsteht dadurch, daß die unterschiedlichen Strömungen der GAL sie geradezu auffällig hängenlassen. Selbst bei den Realos ist sie nicht mehr unangefochten, weil da inzwischen Willfried Maier ist. Ich frage mich, in welchem Maße sie heute eine Kunstfigur ist.

Befürchten Sie, sich bei Koalitionsverhandlungen nicht auf sie verlassen zu können, weil die Partei nicht hinter ihr steht?

Diese Fragestellung interessiert mich nicht. Ich würde mich auf Willfried Maier blind verlassen. Auf Andreas Bachmann, Alexander Porschke, geschweige denn Anna Bruns und letztlich auch Krista Sager eher nicht.

Warum nicht?

Mit Willfried Maier würde ich eine Koalition auf Handschlag gründen. Ohne Verhandlungen. Das hat man in der Politik, auch in der eigenen Partei, sehr selten.

Da Sie so gern in Wetterberichten sprechen: Ist Ökologie ein Schönwetterthema?

Nein, ich halte Umweltschutz global für ein Überlebensthema der Gattung Mensch. Ich glaube aber, daß man bereit sein muß, Prioritäten nicht heilig zu nehmen, sondern sie lageabhängig zu gewichten. Und mein Eindruck ist, daß wir nach 20 Jahren ökologischen Handelns auf der einen und Massenarbeitslosigkeit und galoppierend zunehmender Armut auf der anderen Seite 1977 ein anderes Verhältnis zwischen Umweltschutz, sozialer Lage und Arbeitsplätzen hatten als wir es 1997 haben. Und daß man heute bereit sein muß, diejenige Flanke zu schließen, die aktuell am offensten ist. Gegenwärtig, jedenfalls in Deutschland, ist die Flanke Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau und Staatspleite offener als der deutsche Anteil am Thema „Rettet den Globus“.

Sie haben sich bereits vehement zugunsten der Statt Partei als Koalitionspartner ausgesprochen. Ist eine Leihstimmenkampagne nicht gefährlich?

Ich will ausdrücklich keine Leihstimmenkampagne. Die SPD hat keine Stimme zu verschenken. Aber es gibt langjährige CDU-Wähler, die eigentlich nur Rotgrün verhindern wollen. Den Leuten kann geholfen werden. Sie müssen Statt wählen.

Sie haben über das Regierungsbündnis mit der Statt Partei geschwärmt, daß es „reibungsloser“war „als wenn wir lauter Sozis dringehabt hätten“. Wollen Sie überhaupt allein regieren?

Mit Abstand das beste Ergebnis wäre, wenn die Wähler sich dafür entscheiden, rot zu wählen und Hamburg nicht in Deubels Küche zu bringen.

Sie widersprechen sich.

Nein. Die Ausgangslage war 1993 eine andere. Die SPD verbindet sehr viel Herzblut damit, sozialstaatliche Leistungen an Menschen auszuschütten, denen es nicht so gut geht. Im Hinblick auf die Finanzlage war eine Ernüchterung notwendig. Dieser Paradigmawechsel ist von den Kollegen der Statt Partei erleichtert und versachlicht worden. Jetzt ist er ist allerdings da. Alle Sozis haben den Ernst der Lage längst begriffen.

CDU und FDP wollen das Hamburger Abstimmungsverhalten im Bundesrat ändern. Ist diese Hürde für eine Koalition zu hoch?

Das ist eine sehr hohe Hürde.

Wie hoch?

Sehr hoch. Es wäre für mich ein großes Hemmnis, eine Bundesratsklausel vereinbaren zu müssen, die Hamburgs Wirkungsweise als A-Land unberechenbar macht. Ich habe in diesem Fall eine sehr eigene Vorstellung davon, wie eine solche Klausel aussehen sollte.

Sicher haben Sie sich auch in Sachen Rotgrün vorbereitet und sich Rat aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder NRW geholt.

Nee. Von Heide Simonis braucht man sich kaum je einen Rat zu holen, sie erteilt ihn ja öffentlich, ungefragt. Ebenso Gerhard Schröder, wenn auch in eine andere Richtung. Und aus NRW würden die Ratschläge zu divergent ausfallen.

Die GAL wirft Ihnen vor, mit Ihrem Ruf nach Recht und Ordnung die rechtsextremen Parteien zu stärken. Machen Sie rechte Töne gesellschaftsfähig?

Es geht nicht um Töne. Braunen Tönen trete ich vor jedem Publikum mit großer Härte entgegen. Es geht vielmehr um die Wirklichkeit. Wir reden über den Bauch des Volkes. Dort sitzen die Gefühle, die Rechte ausnutzen können. Dagegen gibt es nur ein Kraut: Die Wirklichkeit verbessern. Weggucken, Maul halten, Kopf in den Sand stecken und Appelle absondern sind ein furchtbarer Irrtum. Wie sagte schon der alte Karl Marx: „Das Sein bestimmt das Bewußtsein.“Und das Bewußtsein die Tonlage.

Sie haben das New Yorker Polizeikonzept in Hamburg ins Gespräch gebracht. Inzwischen sind dort schlimme Menschenrechtsverletzungen bekannt geworden. Bleiben Sie bei Ihrer Position?

Ich habe gesagt: Null Toleranz gegenüber Gewalt ist richtig. Das ist unverändert meine Meinung. Wir müssen den Mut haben, uns die deutschen Gesetze vorurteilsfrei anzusehen und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen. New York ist auch nach Greifen des dortigen Konzepts ungleich unsicherer als Hamburg. Die Befugnisse der Exekutive sind dort viel größer als bei uns, was an der verfassungsmäßigen Fesselung der Exektive in Deutschland als Folge der Hitler-Verbrechen liegt. Und ich finde zu diesem wohlerwogenen Vermächtnis nach der Befreiung muß man stehen, auch wenn ich nicht alles für heilig halte. Ich bin für Rechtsschutz des Bürgers vor dem Staat. Ich finde nur, auf diesem Altar darf man den Schutz der Bürger vor Verbrechern nicht opfern.

Sie kritisieren immer wieder die unerträgliche Langsamkeit und Milde der Justiz. Wollen Sie das Ressort Justiz wieder unter die Fittiche der SPD nehmen?

Ich habe mir über die Ressortverteilung nach der Wahl keinerlei Gedanken gemacht. Zunächst mache ich mir Gedanken über die Wähler. Und erst ab 18.01 Uhr am 21. September mache ich mir welche darüber, was die Wahlergebnisse für den Bürgermeister Voscherau bedeuten. Und der hat ja schon zwei sehr kluge Dinge gesagt.

Welche von den vielen?

Erstens: Ich möchte den Hamburgerinnen und Hamburgern Neujahr 2000 als Bürgermeister im Turmsaal des Rathauses ein gutes Jahrtausend wünschen. Zweitens: Ich mache nicht jeden Quatsch nach der Wahl mit.

Welchen Quatsch meinen Sie?

Martin Schmidts Verkehrskonzept zum Beispiel. Es sieht Schikane als pädagogische Maßnahme vor. Und ich bin gegen die Schikanierung von Bürgern.

Vor vier Jahren haben Sie schon dasselbe beklagt wie heute: Die Situation am Hauptbahnhof.

Das zeigt doch nur, wie frühzeitig meine Sensoren waren und wie weitsichtig ich war und bin. Wir haben es seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs mit einer dramatischen Zunahme an öffentlicher Gewalt zu tun. Ich darf mir zugute halten, daß ich der einzige war, der es damals schon gemerkt und ausgesprochen hat.

Gemessen an Ihren eigenen Ansprüchen ist nichts passiert.

Eine durchgreifende Veränderung kann man nur im Übereinstimmung mit den Gesetzen erreichen. Rechtsstaat, Demokratie, Menschenrechte und Gleichheit zu verteidigen und trotzdem das trockene, jahrelang alles verschleppende deutsche Bürokratenverfahren gesetzlich zu reformieren, ist eine wunderbare Aufgabe für eine rotgrüne Koalition in Bonn. Stellen Sie sich mal vor: Der Joschka und ich verweisen Gerhard Schröders Paukenschlag in die Schranken, indem wir die Sache zu dritt anpacken, und zwar richtig und mutig. Das wäre ein historischer Schritt.

Interview: Silke Mertins

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