Ein riesiger Misthaufen

Dreitagebärte horxen, was das Netz hält: Für Kommunikatoren ist die „Softmoderne“-Tagung im Podewil dennoch interessant  ■ Von Gunnar Lützow

Kollege Konr6d vom stern war neulich in der Zukunft und hat einiges entdeckt: Backstreet-Boy- Fans im Cyberspace, Info-Krieger in South Carolina und virtuelle Peepshows in Amsterdam. Klar, daß da für die angestaubte Literatur kein Platz mehr war. Das aber ist halb so wild, denn dafür gibt es ja bis Sonntag im Podewil die dritte „Softmoderne“, das Gathering jenes virtuelles Tribes der Online-Literaten zwischen Anchorage, Ankara und Angermünde.

Im Gegensatz zu den Veranstaltungen der beiden Vorjahre, die vom Zweckoptimismus verschwörerischer Jugendbewegtheit geprägt waren, scheint man inzwischen einen Schritt weiterzudenken. Auch die Kritik ist geladen, die ketzerische Rede gegen das geltende „Pathos der Interaktivität“ sitzt in Gestalt eines Satirikers mit auf dem Podium. Wobei alleine der Gedanke an humorige Texte, die zu allem Überdruß auch noch von einer lustigen Jazzcombo komplettiert werden, wohl nicht nur knallharten Kleinkunstverächtern, die auch ansonsten nicht wissen, warum sie Tanztheater und Fahrradfahrer so hassen, die Daten im Glasfaserkabel zutiefst gefrieren lassen.

Im Netz macht keiner Quantensprünge

Profundere Anmerkungen sind hingegen von zwei Referenten zu erwarten, die sowohl als Kenner der Materie als auch als Kritiker ernst zu nehmen sind. Wolfgang Coy, der derzeit eine Professur für Informatik und Gesellschaft an der Humboldt-Universität innehat, hält nicht viel vom großen Gerede: „Schreibzeug ist interaktiv. Man schreibt etwas auf und bekommt seinen Text zurück, das ist die Interaktion. Oder man schreibt jemand anderem und der schreibt zurück – das ist noch viel interaktiver!“ Auch den Quantensprung in der Literaturgeschichte erwartet er nicht aus dem Netz: „Ein absurder Gedanke, lächerlich. Es gibt natürlich literarische Formen, die über den engen Literaturbegriff hinausgehen. Michael Joyce wird ja vor Ort sein und seine Hyperfiction präsentieren. Das ist eine zwar unendlich vielfältige, aber dennoch sehr marginale Strömung, die es auch schon seit langem gibt. Wenn die Literatur dieses nonlineare Erzählen aufnimmt, dann kommt dabei etwas ganz anderes heraus. Joyce zum Beispiel, aber James und nicht Michael. Wobei – in Klammern gesagt – wohl auch einiges dem Setzer zu verdanken ist, der in Frankreich ein englisches Buch gesetzt hat.“

Auch Josepf Weizenbaum, Professor am legendären Massachusetts Institute for Technology und Erfinder des ELIZA-Dialogprogramms, ist skeptisch: „Es ist die reine Katastrophe. Was wir da an Texten im Internet haben, ist ein riesiger Misthaufen, und wir kriechen darin herum, weil wir glauben, daß darin ein wenig Nahrung oder gar eine Perle versteckt sein könnte.“ Weswegen er auch eher wissenshungrigen Molekularbiologen als tatendurstigen Hyperliteraten das Internet als Tummelplatz empfiehlt.

Dennoch gibt es neben der Präsentation der Gewinnertexte des diesjährigen Internet-Literaturwettbewerbs am Samstag und der anschließenden Party, die von einer „Virtual Reality“-Kabarettshow flankiert wird, einige Veranstaltungen, deren Besuch nicht nur belustigend, sondern zumindest für die kommunizierende Zunft und ihr interessiertes Umfeld auch in weiten Teilen informativ sein könnte.

So stellen sich am Sonntag mittag RedakteurInnen der E-Zines Trend, Blau, Verstärker undBuzz der Frage, ob elektronisches Publizieren Notlösung oder Avantgarde ist. Am Nachmittag erläutert dann Berndt Schramka von der Hamburger Henri-Nannen-Schule, welche neuen Anforderungen das elektronische Zeitalter an die Journalistenausbildung stellt, und gleich im Anschluß stellt Wired- Chefredakteur Gary Wolf anhand eines seiner Texte die spezifische Reportage-Ästhetik seines Blattes dar – oder sagt man besser „seines Bildschirms“?

Die Endlosschleifen der Medienökologie

Getrost offline gehen kann man jedenfalls bei der ebenfalls am Sonntag stattfindenden Diskussion zwischen Peter Glotz und Geert Lovink. „Die Berichterstattungsfähigkeit (in) der telematischen Gesellschaft“ verspricht zumindest anhand der vorab erhältlichen Texte so spannend zu werden wie ein Vormittag in der Warteschleife des örtlichen Einwohnermeldeamtes. Ja, wenn man schon Professor für Medienökologie und Kommunikationskultur war, muß man sich dann noch seitenlang über besserverdienende Dreitagebärte, Gerhard Schulzes Erlebnisgesellschaft und die Indianerstämme des Formatradios auslassen?

Solche Scherze bringen doch höchstens neue Rekordwerte auf der nach unten offenen Horx- Skala. Auch BILWET-Agent Lovink, dessen „Bewegungslehre“ wir mit dem größten Vergnügen gelesen haben, baut spürbar ab, denn „während die Technikkritik sich in dekadenter Textexegese ereifert, sind die Theoriefeinde betäubt von der Funktionsvielfalt ihrer barbarischen Wunschmaschinen.“ Nach zehn dichtbedruckten Seiten über die Dialektik der Nomadologie dann der Verdacht eines Resultats: Immerhin könne es wohl sein, daß das Netz im Kunstsystem „wohl irgendeine Rolle“ spielen könnte.

Anders formuliert: „Guten Tag, ich bin im Urlaub, hier spricht mein automatischer Textgenerator. Nach dem Piep sprechen und Tamagotchi füttern bitte.“ Womit wieder die klassische Frage auftaucht, woran man Menschen und Maschinen noch unterscheiden kann, sobald sie Kommunikation aus der Distanz betreiben – Konr6d hat ja wenigstens noch den schnuckeligen Kringel im Namen.

Softmoderne, ab heute 19 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68–70, Mitte