Berti in Berlin: Im Prinzip hat Klinsmann Druck

Heute stellen wir uns einfacherweise ganz dumm und fragen: Was ist eigentlich, hm hm hm, Prinzip? So, wer weiß es? Ah, der Musterschüler. Jürgen, bitte. „Das Prinzip“, sagte Jürgen Klinsmann und lächelte sein Lächeln wehmütig, „ist überall das gleiche.“ Eine Gesetzmäßigkeit eher allgemeiner Art, die in diesem Fall heißt: „Je länger die Situation andauert, desto negativer wird die Situation, desto größer wird der Druck.“

Druck. Was ist das eigentlich? Jürgen? Klinsmann überlegte. „Das Wort Druck“, sagte er dann entschlossen, „ist schwer zu definieren.“ Eigentlich nicht. Wenn man ein Lexikon zur Hand hat. Druck ist der Quotient aus dem Betrag einer senkrecht auf eine Fläche wirkenden Kraft F und der Größe A dieser Fläche. A ist 33, hat 98 Länderspiele gemacht, dabei 41 Tore geschossen und ist DFB-Kapitän. F ist die Zeit in Minuten (694), seit er zuletzt ein Tor geschossen hat, potenziert mit der Zahl der Artikel und Fernsehbeiträge, in denen A die 694 um die Ohren (O) gehauen wird. Kurzum, es handelt sich, versicherte Klinsmann gestern in Berliner Hotel Esplanade, „um eine ganz normale Situation“. Die DFB-Fußballer können sich mit einem Sieg über Portugal am Samstag (20 Uhr, ZDF) und einem zweiten am kommenden Mittwoch gegen Armenien für die WM 1998 qualifizieren. Also, sagt Klinsmann, geht es „darum, die Punkte einzufahren“.

Mancher möchte aber die Gelegenheit nutzen, da Berti Vogts' erster Angreifer angreifbar ist, solange er keine Tore schießt. Da kann der Bundestrainer viel erzählen über die Art, „wie er sich bewegt“, wie er „die Kommandos zum Zusetzen gibt“. Da kann Klinsmann ganz vorsichtig anklingen lassen, daß es zum Toreschießen auch hie und da eine Vorlage braucht. Insbesondere die Bemühungen der Publikationen Bild und Sport-Bild tragen mittlerweile manische Züge. Klinsmann sagt, es sei „eine logische Konsequenz, daß ich mit gewissen Seiten nicht zusammenarbeite“. Er habe sich, sagt er, „nie kaufen lassen“. Dafür „kriege ich mein Fett ab“. Wie sehr ihn das mitnimmt, ist nicht zu ermitteln. Seine Taktik ist mit Freund Vogts abgesprochen: Aussitzen und hoffen. Erstens, „daß einmal ein Ball vor die Füße rollt“, zweitens, „daß ich ihn dann reinmache“. Gestern beim Training lief es so: „Ein paar gingen rein, ein paar daneben.“ Im Prinzip ist alles klar. Und Klinsmann akzeptiert es. „Wenn ich jetzt“, sagte er und versuchte sein Lächeln, „zufällig zwei Tore schieße gegen Portugal, würde sich alles ändern.“ Zufällig! Früher hätten alle gelacht. Gestern verhallte Klinsmanns Meckern allein im Raum. Trifft er nicht bald, braucht er demnächst einen Druckanzug. Sonst kriegt er keine Luft mehr.Peter Unfried