Wem soll man Olympia wünschen?

Und der Gewinner ist: Heute abend entscheiden 107 IOC-Mitglieder, welche Stadt die Olympischen Spiele des Jahres 2004 austragen darf. Wie stehen die Chancen von Athen, Buenos Aires, Kapstadt, Rom und Stockholm?

Selten hatte der ansonsten doch eher hundsmiserabel behandelte Journalist ein Herrenleben wie unlängst in Athen bei der Leichtathletik-WM. In fünf Minuten war man durch den Flughafen geschleust, allüberall brachten einen Busse kostenfrei durch die Stadt, meist zügig, bisweilen fuhr vorne ein Wagen mit Blaulicht. Na und mittags gab es neben dem Olympia-Stadion einen Pool, an dem nicht nur das Schwimmen umsonst war, sondern Speisen und Alkohol auch. Und überall strahlten die Gesichter, und aus ihren Mündern erklang wahlweise Französisch oder Deutsch, immer aber mindestens Englisch. We can do it, war die Botschaft, und Juan Antonio Samaranch war offiziell ganz freundlich und sagte, er sehe „jetzt eine andere Stadt“. Die geplante Athener Metro, der neue Flughafen, es werde sich Athen um die Jahrtausendwende in eine „antik- moderne Stadt verwandeln“. Daß der IOC-Präsident bei diesen Worten mächtig geschwitzt hat, war ihm egal. Hitze ist kein Kriterium. Wenn er ein schattiges Plätzchen braucht, besucht er Baron de Coubertin auf dem Friedhof. Mythos ist alleine auch kein Kriterium. Daß Athen im Gegensatz zu 1996 eine kühle, professionelle Bewerbung erstellt hat, interessiert. Die Showbühne Leichtathletik-WM hat viel Geld gekostet. Sie hat gezeigt, daß man will, hat allerdings auch Problemzonen sichtbar gemacht. Der Melonenstreit mit Primo Nebiolo hat beiden keinen Imagegewinn gebracht. Die Zurückhaltung beim Kauf von Eintrittskarten auch nicht. Griechen sind begeistert vom Gewichtheben. Weil da auch mal Griechen gewinnen. Ansonsten bleiben sie gerne auch zu Hause. Selbst Regierungschef Costas Simitis setzte sich während der WM auf eine Kykladeninsel ab. Verständlich: Athen im Sommer ist eine Art Hölle. Von der aus man die Akropolis sehen kann. Peter Unfried

Pro: Nana-Mouskouri-Revival

Contra: Olympia-Hymnen von Vangelis

Joker: Demis Roussos

Olympia nach Buenos Aires? Das paßt, denn Sportler sind hier eigentlich alle. In den hoffnungslos überfüllten Bussen benötigt man die Oberarme eines Windsurfers, um nicht umzufallen, gerade in den Kurven, beim Bremsen und Gasgeben – also immer. Wer die Straße überqueren will, muß es mit Sprinttalent Ben Johnson aufnehmen können, um noch lebend die andere Seite zu erreichen. Und im Straßenverkehr ist eine Mischung aus Michael Schumacher (Vollgas) und Alberto Tomba (Slalom) vonnöten. Aber vielleicht reicht auch die Sorglosigkeit eines Argentiniers. Das Nachtleben von Buenos Aires wird jeden neuen Weltrekord unmöglich machen. Vor zwei Uhr nachts geht niemand tanzen, und vor sechs Uhr morgens kehrt niemand wieder zurück.

In der Fußgängerzone, der Calle Florida, versuchen Frauen mit ultrakurzen Miniröcken die Bevölkerung kurz vor Schluß mobil zu machen: „Wir sammeln Unterschriften für die Olympiabewergung“, stellen sie sich hilflosen Passanten in den Weg. „Bin Ausländer, da hilft meine Unterschrift doch ohnehin nicht“, versuche ich das Weite zu suchen. Doch falsch gerechnet: „Ja, gerade dann erst recht!“ kommt es gestochen scharf zurück. Das Ziel der vom Olympiavorbereitungskomitee abgestellten Unterschriftensammlerinnen ist ein ambitioniertes Vorhaben: eine Million Unterschriften, um in Lausanne den Beweis zu liefern, daß die Bevölkerung hinter der Bewerbung steht. Die ist nämlich eher desinteressiert. Etwas Druck braucht die argentinische Bewerbung schon. Denn schließlich reiste Präsident Carlos Menem mit eingebautem Friseurstuhl in der Präsidentenmaschine nach Lausanne zu den Feierlichkeiten. Aber Menem gilt als Pechbringer. Die Nationalmannschaft verliert immer, wenn er auf der Tribüne sitzt. Ingo Malcher, Buenos Aires

Pro: Maradona als Fackelträger

Contra: Wegen der Zirka-Pünktlichkeit könnten die Spiele frühestens 2005 ausgetragen werden

Joker: Gabriela Sabatini

Kapstadt ist eine der schönsten Städte der Welt. Vom Meer oder aus der Luft kommend, ist der Blick auf die Stadt mit dem Tafelberg dahinter spektakulär. Ein perfekter Hintergrund für Fernsehübertragungen in alle Welt, kein Zweifel. Doch soll man ihr wünschen, Olympische Spiele verkraften zu müssen? Die Kapstädter und alle Südafrikaner wollen das. Kritik an der Bewerbung gibt es kaum, kein Gedanke an Bürgerinitiativen oder gar Bombenanschläge. Das hat Gründe.

In keinem anderen gesellschaftlichen Bereich funktioniert die Identitätsbildung so gut wie im Sport. Die multikulturelle Regenbogennation ist ein Mythos, der auf den Fußball- und Rugby-Feldern gezimmert wird. Dort und nur dort ist die Nation friedlich vereint – solange die eigene Mannschaft mitspielt. Dann interessiert man sich sogar über Rassenschranken hinweg für den unmittelbaren Nachbarn. Der kommt einem allerdings manchmal geradezu beängstigend nahe. Vom letzten Qualifikationsspiel Südafrikas für die Fußball-WM bin ich geflüchtet, um nicht erdrückt zu werden. Ungefähr 20.000 Tickets zuviel wurden verkauft, das Stadion in Soweto platzte aus allen Nähten. Sicherheitsvorkehrungen, Verkehrsregelung? Die Polizisten waren selbst im Stadion. Nach einem unverdienten Sieg feierte die Nation eine ganze Nacht lang. Man ist wieder wer, dabeisein ist alles. Was würde passieren, wenn etwas passiert? Kleinliche Frage angesichts der historischen Bedeutung. Das gilt erst recht für die, ob das Land, das tagtäglich mit der gewaltigen Erblast der Apartheid zu kämpfen hat, sich nicht vielleicht übernimmt mit Olympia. So etwas fragt man nicht im neuen Südafrika, ohne sich des Rassismus verdächtig zu machen. Das sieht auch der Präsident so. Nelson Mandela und Spiele für Afrika bilden den symbolischen Kern der Bewerbung. Das erinnert an Berlin nach dem Mauerfall. Die wiedervereinte Stadt hoffte auch auf eine politische Entscheidung. Das IOC indessen interessiert sich bekanntermaßen nur eingeschränkt für Moral. Die Welt schuldet Afrika die Spiele? Na und. Spiele für Afrika? Schön wär's. Kapstadt ist von Afrika ungefähr so weit weg wie Rom. Nur deshalb konnte sich die europäischste Stadt des Kontinents überhaupt bewerben. Kordula Doerfler, Johannesburg

Pro: IOC-Mitglied Prinzessin Anne ist für Kapstadt

Contra: Anne kann wegen Dianas Beerdigung wohl nicht zur Abstimmung kommen

Joker: Jetzt oder nie: 2004 wird Mandela 86 sein, 2008 schon 90

Drei, nicht nur zwei Seelen, ach, sie wohnen derzeit in jeder römischen Brust. Das sportliche Herz möchte dereinst zu den Enkeln sagen können: Ich war dabei, als unser Guido die Goldmedaille gewann. Die Krämerseele wünscht sich natürlich viele naive tandverrückte und ausgebefreudige „Gäste“. Doch dann ist da noch die dritte Seele, die des leidgeprüften Bürgers – und der erinnert sich, je nach Alter, noch an die Jahrzehnte nach den Spielen 1960 klaffenden Baustellen und gesperrten Straßen oder an das wirtschaftliche Desaster nach der mit so hohen Einnahmeerwartungen versehenen Fußball-WM 1990. Damals reisten zwar genügend Raubauken an, dafür aber blieben die normalen Touristen weg. Später lief dann alles auch noch in gigantischen Korruptionsskandalen aus. Zudem dräut derzeit ohnehin bereits das große Heilige Jahr 2000 heran, anläßlich dessen die Stadtväter ein weiteres Mal die Kluft zwischen Versprechen und Realität vorführen – 81 Projekte waren es ursprünglich, von der U-Bahnerweiterung bis zur Erneuerung des Busparks und einem Megastadion für Audienzen: Am Ende wird nicht einmal mehr ein halbes Dutzend verwirklicht. Werner Raith, Rom

Pro: Primo Nebiolo

Contra: Primo Nebiolo

Joker: Primo Nebiolo

Stockholm hatte von vornherein keine Chance und nutzte sie auch nicht. Tiefe Skepsis in der Bevölkerung. Bomben, keine Lobby im IOC und ein Vorbereitungskomitee aus nervösen LaiendarstellerInnen. Erst im Endspurt von Regierung, Königshaus und Medien unterstützt, konnte Olympiabegeisterung nie so recht aufkommen.

Eine IOC-Mehrheit zu gewinnen scheint um so aussichtsloser, als man sich auch im Einmaleins der Bestechung nicht so recht auskennt – wie auch in einem Land, in dem nicht Ministerpräsidentin werden kann, die sich mit dienstlicher Kreditkarte eine Packung Toblerone genehmigt. Mag die Konkurrenz da vielleicht bei Mali und Mauritius mit Geldzusagen für „die Entwicklung des Sports“ Stimmen zusammenfegen, kam man in Stockholm auf keine bessere Idee, als den angereisten Delegierten in Fahrten durch die Schären die schöne Natur zu präsentieren oder den Frauen des IOC-Clans einen Rabatteinkauf bei Ikea samt kostenlosem Heimtransport nach Nigeria oder Nepal anzubieten und damit ausgerechnet – neben Kapstadt – offiziell vom IOC wegen Bestechungsverdacht gerüffelt zu werden.

Mögen Kriterien wie die gute Luft, vorhandene Sportanlagen und ein funktionierendes Nahverkehrssystem für das „nordische Venedig“ sprechen, das noch dazu in einer Umfrage Favoritin der SportlerInnen wurde: Björn Borg wird gegen Luciano Pavarotti und Nelson Mandela auf verlorenem Posten stehen. Und Stockholm allenfalls für den Fall, daß ein europäischer Kompromißkandidat gefragt sein sollte, eine Chance haben. Aber man kann das Ganze ja als Testlauf für „Stockhom 2012“ sehen, wenn sich die bislang einzige Olympiade in Schweden zum hundertsten Male jährt. Vielleicht hat man bis dahin für die dann fällige Reprise das Bewerbungseinmaleins gelernt. Reinhard Wolff, Stockholm

Pro: Eigentlich alles

Contra: Bomben und Bierpreise

Joker: Möbelhäuser