■ Unterwegs mit dem Schokoriegel unter den Toiletten
: Der „Ich bin 40 Füllungen“-Mann

Hamburg, Rush-hour. Mathias träumt. Von Flüssen, die ihm zumurmeln, von kreiselnden Wellen, manchmal stürzt in der Ferne ein Bach ab. Wenn die Ampel dann endlich Grün zeigt, fährt er sich übers Gesicht, die großen Hände greifen nach dem Lenkrad. Weiter geht's.

Mathias hat einen Tank geladen, da könnte draufstehen: „Ich bin 40 Toiletten-Füllungen“. Im Rückspiegel seines kleinen Lasters sieht er außerdem zwei WC-Häuschen, einen Tank mit blauer Reinigungsflüssigkeit und am Haken einen Schlauch, der nach vier Umdrehungen in einen metallenen Ansaugstutzen mündet. „Früher war ich Maler“, sagt er, „das gefiel mir nicht, da hatte ich abends immer weiße Hände.“ Und jetzt? Ist Mathias ein rollender Klomann, der abends nach Spüli und Pinkelstein riecht. „Manchmal rufen mir irgendwelche Kinder zu, hey, was hast 'n du für 'n Scheißjob, haha.“ Aber Mathias mag den Job.

Nach der Bundeswehr ist er „durch Beziehungen“ bei der Firma Dixi untergekommen, sein Onkel war dort Fahrer. Mathias hatte genug davon, herumkommandiert zu werden, egal ob vom Unteroffizier oder Vorarbeiter, und wollte endlich selbständig arbeiten. Dafür zahlt er jetzt einen Preis: Wenn seine Freundin ihn fragt, wann er nach Hause kommt, kann er nur mit den Schultern zucken. Die Freunde vom Fußballclub Neuwulmstorf haben ihn längst abgeschrieben, sogar sein Dauer-sitzplatz auf der Ersatzbank ist dauerhaft leer. „Mein Hund ist das einzige Hobby, das mir noch geblieben ist.“ Englischer Bullterrier, Sieger bei so mancher Kampfhundausstellung. „Der ,Churchill‘ ist so lieb, der wartet halt auf mich. Das kann ich von den Menschen nicht erwarten. Ein kuscheliges Tier, in der Presse wird ja auch viel übertrieben.“

Mathias biegt in eine Baustelle ab. Das Dixi-Mobil holpert über roten Sand. Die Absperrgitter stehen sehr eng, unter einer breitarmigen Linde muß er anhalten. Wo bald die Tennisanlage Alsterdorf Spaß für die ganze Familie bieten soll, stehen nun zwei Arbeiter mit Schaufeln in der Hand. Sie lächeln. Einer zündet sich eine Zigarette an. Mathias mit seiner blauen Uniform und dem Dixi-Schriftzug quer über die Brust (drei Herzen: zwei als Tüpfelchen auf dem „i“ und eins mitten im großen „D“), Mathias kommt über sie wie der lang ersehnte Pausengong. „Können wir irgendwie helfen?“ Das können sie. Der Raucher schiebt das Gitter beiseite, und der Laster rollt quer über den Platz zum Abort. Absaugen, Ausspülen, Abschrubben. Mathias hängt noch zwei Papierrollen extra hin: „Ich kenn' ja meine Pappenheimer.“ Zum Schluß winken alle fröhlich.

1.000 herzige Häuschen warten derzeit in Hamburg auf Kundschaft. Jeder der sieben „Dixianer“, wie die Firmenzeitschrift Expreß die Fahrer nennt, hat 140 „Tk's“, Toilettenkabinen, zu versorgen. Jeden Tag wird abgemeldet und neu bestellt, ziehen ganze Baustellen um und mit ihnen der Wunsch nach „internationalem Know-how“ und „straffer, EDV- gestützter“ Kloversorgung. „Das ist auch nichts anderes als 'n Zeitungsabo“, sagt Mathias.

Dixi ist deutschlandweit Marktführer – am Bau genauso wie bei Straßenfesten, Polterabenden und Rockkonzerten. Längst hat auch der Techno tanzende Teil der Jugendbewegung die Botschaft verstanden und in großem Stil Herzchen-T-Shirts als Abendgarderobe eingekauft. In der Firmenzentrale in Ratingen verfolgt man diesen Kult mit amüsiertem Unverständnis. Dabei dürfte selbst für den bekennenden Nichttänzer Mathias klar sein, daß Dixi der Schokoriegel unter den Toiletten ist. Wo andere schlicht „Nürnberg Vermietungen“ heißen und in Römisch Antiqua für sich werben, wartet Dixi mit einem Seventies-Design auf, das jeder Boygroup-Bühne zur Ehre gereichen würde.

Mathias trägt eine Brille mit dicken Gläsern, die er jedes Mal absetzt, bevor er sich vom Fahrersitz schwingt. Nicht alle Menschen denken „Pause“ und „Prima“, wenn sie ihn sehen. Dem Chef der Armani-Filiale in der Innenstadt zum Beispiel paßte es überhaupt nicht, daß gleich gegenüber am Gehweg ein Dixi-WC eröffnete. „Ich mußte das Ding abholen, dann rief die Baustelle an: ,Wo ist unser Klo?‘ Also hab' ich's wieder hingefahren, worauf die von Armani wieder gemotzt haben. Dreimal hin und her an drei Tagen!“

Hamburg, Rush-hour. Mathias träumt. Er ist mit seiner Tour durch. Jetzt noch schnell 2.000 Liter Pisse und Kacke abkippen, dann ist Feierabend. Hamburg, Rush-hour. Mathias träumt. Churchill wartet. Endlich zeigt die Ampel grün. Mathias hält die Hand ins Freie. Es hat angefangen zu regnen. Oliver Fuchs