Russischer Mikrokosmos am Mittelmeer

■ Im Kibbuz Pelekh leben ausschließlich jüdische Migranten aus Rußland

Jerusalem (taz) – Im Kuhstall des Kibbuz arbeitet ein ehemaliger Basketballspieler von ZSKA Moskau. Die Gründerfamilie der landwirtschaftlichen Genossenschaft stammt aus Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad. Die Aushänge im Kibbuz Pelekh, das auf einem abgelegenen Hügel im Norden Galiläas liegt, tragen kyrillische Schriftzeichen. Untereinander können sich die Einwohner des Kibbuz alle mühelos auf russisch unterhalten. Denn sie alle sind russische Einanderer. Pelekh ist der erste und bislang einzige rein „russische“ Kibbuz in Israel.

Der Kibbuz selbst, von dem man einen traumhaften Blick auf die Hafenstadt Haifa genießen kann, hat eine wechselhafte Geschichte. Viele Versuche, das Genossenschaftsleben hier wieder zum Leben zu erwecken, scheiterten. Die jungen Leute zog und zieht es immer noch in die großen Städte. Der Streit darüber, ob unterschiedliche Arbeiten unterschiedlich bezahlt werden sollten, spaltete diesen Kibbuz wie zahlreiche andere auch. Manche Kibbuzniks unterhielten Bankkonten, die sie vor den anderen Mitgliedern geheimhielten. Wegen Fehlinvestitionen und unrentabler Produktionen sind auch die Kibbuzdachverbände in Israel zum Teil hoch verschuldet.

„Wir haben keine feste Ideologie“, sagt Theresia Tarasiuk, Gründerin, Managerin und Sekretärin des „russischen“ Kibbuz. Und so haben sie beschlossen, den Privatbesitz von Autos zuzulassen. Das vor allem auch deshalb, weil längst nicht alle Einwohner in der Landwirtschaft arbeiten wollen. 90 Prozent der russischen Kibbuzniks haben einen Universitätsabschluß. Einige haben sich schlicht geweigert, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Insbesondere bei der Milchproduktion und -verarbeitung mangelt es an Arbeitskräften. „Wir suchen nicht nach den idealen Kibbuzniks“, sagt Tarasiuk, „es genügt, wenn niemand hier dem Kibbuz Schaden zufügt.“

1991 entschlossen sich die Tarasiuks, die den Zusammenbruch des vorherigen Kibbuz erlebt hatten, zur Gründung eines eigenen, selbstgeleiteten Kibbuz. Der Kibbuzverband Artzi schaltete Anzeigen in der russischsprachigen Einwandererpresse, um weitere Familien zu gewinnen. Dreizehn Einwandererfamilien zog es danach in den Norden Galiläas. Fünf Jahre nach der Gründung honorierte der Kibbuzverband die einmalige Initiative und baute Steinhäuser für die heute rund zwanzig Familien, ließ den Kuhstall erweitern und auch eine Hühnerfarm bauen. Für den Verband war es immerhin der erste Kibbuz in den vergangenen zwölf Jahren, der neu aufgenommen werden konnte.

Auch wenn sie grundsätzlich nicht gegen die Aufnahme neuer, auch „israelischer“ Mitglieder sind, wollen die „Russen“ vorerst lieber unter sich bleiben. Schon beim Essen unterscheiden sie sich. Im eher kargen Speisesaal mit Plastikstühlen und blanken Tischen gelten Borscht und Hering als Lieblingsspeisen. Besonderes Markenzeichen in Pelekh ist eine riesige Satellitenschüssel, die nach Moskau ausgerichtet ist und das russische Fernsehen empfangen kann. Und den Platz vor dem aus Fertigbauteilen konstruierten Verwaltungsgebäude haben die Einwohner „Roter Platz“ getauft. Mit Heimweh nach dem untergegangenen sowjetischen Imperium hat dies nichts zu tun. Die Einwohner im Kibbuz Pelekh haben gelernt, Initiativen zu ergreifen. Das Sprichwort aus kommunistischen Zeiten: „Jede Initiative findet ihre eigene Strafe“, gilt für sie längst nicht mehr. Georg Baltissen