Deutschlands Terroristen im Theater

■ Mit „Heißer Herbst“widmet sich das Junge Theater im Concordia der Vergangenheit des deutschen Terrorismus

Dokumentarfilme, Autobiografien und Romane erscheinen am Fließband. Heinrich Breloers Fernsehzweiteiler „Todesspiel“wird als Fernsehereignis des Jahres gefeiert, und unentwegt erinnern die Politmagazine der Republik nostalgisch an die Zeiten, als Deutschland vibrierte, weil eine kleine Gruppe von Menschen dem Staat den Krieg erklärt hatte. Die Rote Armee Fraktion (RAF) ist zwanzig Jahre nach dem Beginn ihres endgültigen Siechtums hipper als jemals zuvor. Paradoxe Welt: Die Bewegung ist tot, aber die intellektuell aufgedunsene Merchandisingmaschinerie läuft auf Hochtouren.

„Heißer Herbst“, das neue Projekt des Jungen Theaters über all das, was schließlich in Stammheims Gefängniszellen und auf dem Rollfeld des Flughafens von Mogadischu endete, trifft auf eine Zeit, die sich mit Hingabe „ihren“TerroristInnen widmet. Welchen Zugang kann ein Theaterstück also finden, ohne die ausgetrampelten Pfade der Erinnerungsindustrie um ein Kapitel zu erweitern?

Als „szenische Improvisation“ist das unter der Regie von Carsten Werner entstandene Projekt konzipiert. Über eineinhalb Stunden reihen sich monotone Textcollagen, groteske Clownerien, aufklärerische Lehrstunden in deutscher Geschichte und kurze dramatische Fragmente aneinander. Was mit zerstochenen Autoreifen in Berlin begann, endete schließlich mit zerschossenen Leibern in jenem mystisch verklärten Stuttgarter Hochsicherheitstrakt. Dazwischen gingen zahllose Joints und manche Illusion in Luft auf, vereinten sich Größenwahn und grenzenloser Weltenschmerz zur unheilvollen Symbiose namens Terrorismus.

Die Inszenierung des Jungen Theaters hechelt atemlos all diesen Phänomenen hinterher. Eine Frau (Janina Sablotzki) berichtet von ihren Kindheitstraumata, ein Mann (Erkan Altun) phantasiert vom letzten wahren Abenteuer Guerillacamp, andere (Claus Franke u. Axel Deller), denen man die Mühe anmerkt, den Faden nicht zu verlieren, rezitieren Theoriepapiere der RAF über Faschismus, Klassenkampf und die Hegemonie des US-Kapitals. Im zeitlichen Abstand von 20 Jahren wirkt das alles grotesk, hybrid und ziemlich bescheuert, die TerroristInnen verwandeln sich überwiegend in esoterische Witzfiguren mit blutigem Humor.

Allein die wenigen Szenen, in denen Janina Sablotzki in furiosen Monologen die Verwandlung eines aufrichtig leidenden Menschen zu einer kalten und fanatischen Terroristin erahnen ließ, retten „Heißer Herbst“vor der Oberflächlichkeit eines blinden Zappens durch die Zeitgeschichte. Denn in der Tat war es eben nicht bloß der biographische Seelenmüll der damaligen Akteure – wie es „Heißer Herbst“hingegen sehr stark betont – ,der aus Menschen im Deutschland der 60er und 70er Jahre hat MörderInnen werden lassen. Der Umstand, daß heute Radikalität, wenn sie sich außerhalb tolerierter Zonen bewegt, mit Fanatismus gleichgesetzt und den individuellen Marotten Einzelner zugeschrieben wird, ist nicht bruchlos als Reifungsprozeß der politischen Kultur zu deuten. Vietnamkrieg, Notstandsgesetze, Ausbeutung der 3. Welt und der Unwille, die Nazivergangenheit aufzuarbeiten, sind keine Phänomene, die die RAF erfunden hat.

Am Ende von „Heißer Herbst“erklang, geradezu symptomatisch, David Bowies „Heroes“, ein Lied über „Helden für einen Tag“. Ist das wirklich alles, was der Deutsche Herbst zu uns herübergeweht hat?

zott