Das Prinzip Lulu als Obertonreihe

■ „Planet Lulu“von Remote Control eröffnete die Kampnagel-Saison

Zur Eröffnung der neuen Spielzeit begrüßte Res Bossart das Publikum mit einer kleinen, triumphierenden Ansprache. Die alte Dame Kampnagel, so der künstlerische Leiter der Kulturfabrik, werde in dieser Saison ihr verblichenes Blümchenkleid ablegen und sich, dank der Ausstattung mit fünf Millionen Mark Renovierungsgeldern, ab Oktober 1998 im neuen Anzug präsentieren. „Geschlechtsumwandlung?“fragte jemand leise in der dritten Reihe. „Nein, Managertraining“, flüsterte es zurück.

Bossart phantasiert sein Theater als Frau. Das ist nicht ungewöhnlich, die meisten Männer jedoch phantasieren ihre Frauen als Theater. Oder besser gesagt, sie richten sich im Kopf kitschige Bühnen ein, auf der sie das Weib in der jeweils gewünschten Rolle agieren lassen: Mutter, Hure, Geliebte, Kind. Frank Wedekinds Lulu ist ein dramatisches Paradebeispiel der Frau, die sich als Projektionsfläche männlicher Phantasien auf das Spiel einläßt, zugrunde richtet und daran zugrunde geht.

Auch Michael Laub, Gründer und Regisseur der international besetzten Remote Control Productions, interessiert sich weniger für wahre Frauen als für Projek-tionsflächen. Noch weniger, das behauptet er jedenfalls, interessiert er sich für das Theater. Daß sich auf seiner Bühne fünf Lulus finden, erklärt er schlicht daraus, daß er mit 14 Jahren Louise Brooks verfallen sei, die in G.W. Pabsts Wedekind-Verfilmung von 1929 die Lulu spielte. Jetzt hat er die Figur fünf-mal geklont, ihr alle Psycholgie genommen und zum Prinzip erweitert: Planet Lulu erzählt keine tragische Geschichte, sondern berichtet von dem an Abziehbildern und Zitaten reichen Ist-Zustand.

Natürlich auch vom Ist-Zustand des Theaters. Eine Erzählerin auf einer Leiter liest den Dramentext, langweilige Stellen werden zusammengefaßt, interessante durch Kommentare erweitert. Lulu hat weniger Seele denn je, aber die fünf Schauspielerinnen erzählen uns dafür aus ihrem Leben: Auf Faroe z.B., so Hildigunn Eydfinsdottir, gab es noch nie einen Sexualmörder, was es nicht gerade leichter mache, Lulu zu spielen. Ihr gelingt auch das Unglaubliche: In Laubs totalem Anti-Illusionstheater, das zwischen Fiktion, Banalität, Frivolität und Hysterie springt, unterlegt mit treibenden Rhythmen von Larry Steinbachek (Ex-Bronski Beat) und immer wieder unterbrochen von kurzen, stilisierten Tänzen, weint sie echte Tränen ins Mikrophon, ohne peinlich zu wirken.

Planet Lulu ist keine tiefgreifende Interpretation des Wedekindschen Stoffes. Eher eine Art Obertonreihe zum Thema, verspielt, dekadent, mit Spaß an kleinen Dissonanzen. Ebenso überflüssig wie genau der Grund, warum moderne Menschen nach 1980 noch ins Theater gehen mögen.

Christiane Kühl

noch bis So, 20 Uhr, k6