Fußspuren an der Zimmerdecke

■ Schluß mit lustig: Heinz Karmers Tanzcafé, Hamburgs effektivstes Provisorium, wird abgerissen

Große Momente sind bekanntlich nicht planbar, und deshalb gab es große Momente ohne Ende im Heinz Karmers Tanzcafé. Denn das Ding war eine große, wunderbare Improvisation, ganz wörtlich. In gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen munkelt man, daß Schorsch und Olli, die beiden nachnamenlosen Betreiber der Bar, prekäre Details aus dem Intimleben des zuständigen Sachbearbeiters beim Ordnungsamt in petto haben. Anders ist es nicht zu erklären, daß ihr kleines grünes Häuschen, das nur durch Klebestreifen vor dem Einsturz bewahrt wurde, nicht schon vor drei Jahren schließen mußte.

Ja, die Gaststätte mit angeschlossenem Konzertbetrieb war eine unendliche Improvisation. Und das hat einen Teil der Anziehungskraft ausgemacht, die bis in die USA wirkte. Wenn jede Nacht die letzte sein kann, muß sie doch einfach unvergeßlich werden. Denn seit Anbeginn drohte der anheimelnden Rock-Laube an der Budapester Straße der Abriß. Bürosilos sollen ihre schicken Schatten auch auf den Rest der relaunchten östlichen Reeperbahn werfen, das war schon bei der Eröffnung 1994 klar. Doch der angekündigte Abriß schob sich über Jahre hin, und irgendwann wurde das Abschiednehmen zur schönen Gewohnheit. Der Schock saß um so tiefer, als es plötzlich hieß, daß am 6. Oktober tatsächlich und unwiderruflich Schluß mit lustig ist.

Vielleicht werden an diesem Tag ein paar Menschen in Hamburg endlich erwachsen werden, also ein wenig trauriger und viel träger. Es wird fehlen, dieses effektive Provisorium, das der beste Schutz ist gegen die uneffektive Organisiertheit da draußen, in der Welt außerhalb des Karmers. Konzerte wurden in dem Club meist durch einen einzigen Anruf gebucht, und Olli, der für diesen Teil der Logistik verantwortlich zeichnete, hatte sich sein Booking-Büro im oberen Regal über dem Tresen eingerichtet, zwischen Chipstüten und Erdnüssen. Langweilige Auftritte gab es im Karmers selten, tolle waren das Tagesgeschäft, und das Wort „legendär“fiel mindestens so oft wie die linke Lautsprecherbox aus.

Natürlich hatte das Karmers eine Aura, aber versuch' die mal auf den Punkt zu bringen! An einem Abend brummte die Hütte vor hektischer Betriebsamkeit, am nächsten lag eine feierliche Schwere in der Luft. Und die meisten Künstler liefen zu Hochform auf, weil hier niemand mit irgendeiner dummen Erwartung an sie herantrat.

Der schweigsame und immer ein bißchen langsame Bill Callahan von Smog zum Beispiel wurde von niemandem auf die Bühne gehetzt, spielte so an einem frühen Montagmorgen den vielleicht schönsten Auftritt seiner Karriere, und 20 Menschen schauten still auf den zusammengekauerten Solitär. In einer anderen Nacht hingegen schmiß eine Hundertschaft überhitzter Gemüter Mike Hart von den God Bullies durch den Raum. Der sonderbare Sexgott war für einen exklusiven Auftritt aus den Staaten eingeflogen worden. Überhaupt wirbelte die Karmers-Mischpoke, die sich gerne und leicht und oft erregen ließ, einige Künstler durch die Luft – an der niedrigen Decke des Ladens prangten bis zum Schluß die Fußspuren von Tocotronics Dirk Lowtzow.

Ich sag' es mal so: Im Karmers galten andere Gesetze, und manchmal konntest du sogar die Schwerkraft besiegen. Christian Buß

Hamburg nimmt Abschied:

Di, 23. September: Guz von den Aeronauten

Mi, 24.: Fink + Adventsinitiative

Do, 25.: Ulrich Tukur + Günter Mertens

Fr, 26.: Roter Vorhang + Mod Thorsten

So, 28.: Potato Fritz + Wirr-DJs + Die drei Tornados

Mo, 29.: Silver Apples + Windy & Carl + Starlight Steven + Das Schweigen

Mi, 1. Oktober: Friedel Kern und seine magische Orgel

Do, 2.: Deche Dans Face + DM Bob & The Deficits

Fr, 3.: Paska + Helgoland + Der Finne

Sa, 4.: HKTC Soundsystem