Arbeitsplätze statt Jugendknäste

■ Gewerkschafter und führende Sozialdemokraten in Hamburg freuen sich bereits jetzt auf einen politischen Kurswechsel in der Nach-Voscherau-Ära

„Wir müssen uns unseren alten Themen wieder zuwenden: soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, Arbeitsplätze!“Für Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm, im Zweitjob SPD-Bürgerschaftsabgeordneter, war der auf die Innere Sicherheit zugespitzte Wahlkampf ein Fehler, den es umgehend zu korrigieren gilt. Der Abgang Henning Voscheraus wirkt offenkundig für jene SozialdemokratInnen wie eine Befreiung, die auf eine rot-grüne Reformpolitik mit sozialdemokratischen Akzenten bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik setzen.

Bereits am Wahlabend hatte der sozialdemokratische Landesvorsitzende Jörg Kuhbier seine Partei entsprechend eingestimmt: „Morgen beginnt der Bundestagswahlkampf gegen die soziale Erosion der Regierung Kohl/Waigel. Es gibt keinen Anlaß, Trübsal zu blasen.“Die SPD-Abgeordnete Dorothee Stapelfeldt erläutert, was damit gemeint sein könnte: „Wir hatten unseren Wahlkampf auf fünf Themen ausgerichtet. Fünf! Und soziale Gerechtigkeit stand ganz oben an.“Fraktions-Vize Jan Ehlers ergänzt: „Ich war mit unserem auf Sachthemen ausgerichteten Wahlkampf zunächst sehr zufrieden. Das Thema Innere Sicherheit hat uns dann aber überrollt.“

Ehlers sieht CDU und SPD vor einem Scherbenhaufen: „Das ist wie bei den Zauberlehrlingen. Die Geister, die sie gerufen haben, können sie jetzt so schnell nicht wieder einfangen.“Noch immer ist Ehlers, der es sich als größten politischen Erfolg anrechnet, in Hamburg in seiner Zeit als Jugend- und Sozialsenator die geschlossene Heimerziehung für Jugendliche abgeschafft zu haben, entsetzt, daß Voscherau dies rückgängig machen wollte: „Mit einem entsprechenden Antrag in der Bürgerschaft wäre Henning Voscherau nicht durchgekommen.“

Auch in der Senatskanzlei herrscht heute noch Entsetzen über Voscheraus öffentliches Auftreten der vergangenen Wochen. Zum Beispiel Voscheraus plötzlicher Anti-Euro-Kurs: „Das Ding mit dem Euro haben wir ihm nicht mehr ausreden können. Das war eine einsame Entscheidung von ihm.“

Vorschläge einiger Spitzenbeamter dagegen, Voscherau solle sich mit einem eigenen, sozial und ökologisch profilierten Hamburger Steuerreform-Vorschlag viel offensiver in die Auseinandersetzung mit Kohl und Waigel begeben, stießen beim Stadtchef auf taube Ohren.

Hamburgs GewerkschaftsfürstInnen von DGB, IG Metall und ÖTV, die seit langem für Rot-Grün votieren, bereiten sich derzeit darauf vor, ihren Einfluß auf eine Neuausrichtung der Hamburger Politik geltend zu machen. ÖTV-Chef Rolf Fritsch: „Jetzt können endlich die Arbeitsplätze wieder in den Blickpunkt rücken. Ich sehe viel Spielraum für kreative Reformen auch im Öffentlichen Dienst. Ich hoffe, daß Hamburg sich dabei auch der Arbeitszeitfrage zuwendet und zumindest so einige tausend Arbeitsplätze sichert.“ Florian Marten