Deutsch sein, aber wie?

■ Anpassen statt Integration: Psychosoziale Probleme von AusländerInnen in Bremen / Auch Macker leiden / In der Stadt gibt es nur eine Therapiestelle für türkische Kinder

Immer mehr Ausländer genesen nicht mehr am „Deutschen Wesen“. Im Bremer Institut für psychosoziale Arbeit und Prävention sammeln sich ihre Schicksale. Das Institut ist eine Art Notambulanz für AusländerInnen, die der Zwang zur Anpassung in psychische Konflikte getrieben hat. Kinder werden zerrieben zwischen den Anforderungen der traditionellen Welt ihrer Eltern und der geforderten Anpassung im Kindergarten oder in der Schule. Alles Probleme, über die man reden könnte? Schulen, Kindergärten, Behörden, öffentliche Beratungsstellen, nirgendwo ist es selbstverständlich, wie in den Niederlanden beispielsweise, ausländische Kontaktpersonen bereitzuhalten.

„Wenn eine junge Familie aus Anatolien nach Deutschland kommt, dann muß sie eine unglaubliche Anpassungsleistung vollbringen, um den Alltag organisieren zu können. Das ist nur unter großer, seelischer Belastung möglich“, weiß Dagmar Haucke, bislang einzige Kindertherapeutin in Bremen, die gezielt türkischen Kindern psychosoziale Hilfen anbietet.

G. ist ein türkischer Junge, der fast kein Deutsch spricht. Er lebte vier Jahre ausschließlich im Kreis seiner Familie. Der Gang zum Kindergarten war ein Schritt in eine andere Welt, ein Kulturschock. G. macht sich hartnäckig in die Hosen.

P. ist ein türkisches Mädchen. Als sie fünf Jahre alt ist, muß die Mutter ins Krankenhaus. „Ich geh mal eben auf's Klo“, sagt die und verschwindet für zwei Wochen. P. verliert die Orientierung und hört auf zu sprechen, mit wem sollte sie auch türkisch reden? Als die Mutter aus dem Krankenhaus zurück-kommt, läßt die Tochter nicht von ihr ab. Das Kind bleibt stumm.

K. wird in ein Bremer Krankenhaus eingeliefert. Der Junge hat einen psychotischen Schub. Auf seiner Station spricht niemand türkisch. 14 Tage wird K. von Menschen behandelt, die er nicht versteht, die zu ihm in einer fremden Sprache sprechen.

Dagmar Haucke und Holle Weisfeld vom Institut für psychosoziale Arbeit könnten fast 500 ähnliche Geschichten erzählen. So viele Menschen suchten im letzten Jahr ihre Hilfe. „Oft entlastet schon ein Gespräch,“meint Haucke, die selbst türkisch spricht. Nicht alle Konflikte sind migrationsbedingt. Schließlich sind Gewalt in der Ehe, Kindesmißhandlung, Verwahrlosung auch Kulturgüter deutscher Haushalte. Nur, kracht es in einer türkischen Familie, dann verschärfen sich die Konflikte. „In türkischen Famlien werden Auffälligkeiten von Kindern oder Gewalt oft als schicksalshaft hingenommen. Frauen ertragen Unterdrückung in der Angst, ihr Mann könnte sie nach Hause zurückschicken oder sie würden nach einer Trennung von den deutschen Behörden ausgewiesen“, sagt Holle Weisfeld.

So sind es mehrheitlich Frauen, die in ihrer Verzweiflung Rat und Schutz bei den Mitarbeiterinnen des Institutes suchen. „Männer, die hier in Deutschland ihre Herrscherrolle ausleben, bekommen ebenfalls Schwierigkeiten, aber sie suchen selten Hilfe,“weiß Dagmar Haucke.

„Was den ausländischen Menschen meistens fehlt, ist eine positive Einstellung zu ihren eigenen Fähigkeiten. Unsicher und in einem fremden Land, bricht bei zu hoher Belastung ihr ganzes Selbstbewußtsein zusammen“, sagt Haucke. Und dann, so die Pädagogin, geht es nicht mehr um Anpassung oder Intergration, sondern nur noch um einfache Lebenshilfe.

Thomas Schumacher