Ein Jahr nach dem „Synthesebericht Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer“haben sich die Wogen an der Westküste geglättet – auf den ersten Blick Von Heike Dierbach

Er hatte sich in den Lehnstuhl des alten Deichgrafen gesetzt, und seine Hände griffen fest um beide Lehnen. „Hast du denn guten Mut dazu?“frug ihn sein Weib. – „Das hab ich, Elke!“sprach er hastig. „Sei nicht zu rasch, Hauke. Fast alle werden dir entgegen sein, man wird dir deine Müh und Sorg nicht danken.“Hauke nickte. „Ich weiß!“sagte er.

An der schleswig-holsteinischen Westküste erinnert nicht nur der Hauke-Haien-Koog an Theodor Storms „Schimmelreiter“. Heute bereitet die Sturheit mancher Marschbewohner Naturschützern und Ministern schlaflose Nächte. „Keine Existenzvernichtung, also kein Nationalpark!“hatten aufgebrachte Fischer und Schäfer im vergangenen Herbst lautstark gegen den „Synthesebericht“protestiert, der die Weiterentwicklung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer skizzierte. Vorgeschlagen wurde unter anderem eine Erweiterung des Parks um 28 Prozent und die Einrichtung von „Referenzzonen“, in denen jede Nutzung untersagt ist. Fischerei und Fremdenverkehr fürchteten um ihre Einkommen und drohten mit einem „Aufstand an der Westküste“.

Aber die Zeiten haben sich seit Storm doch ein wenig geändert: Die Diskussion sei inzwischen „auf der sachlichen Ebene angelangt“, beteuert der grüne Umweltminister Rainder Steenblock. Die Landräte von Dithmarschen und Nordfriesland, Jörn Klimant (parteilos) und Olaf Bastian (CDU), sind ausnahmsweise seiner Meinung. Andere offenbar weniger: Anfang August zerstörten Unbekannte am Neufelder Koog in Dithmarschen zahlreiche Begrenzungspfähle des Nationalparks, ein Vogelzähler fand sein Auto mit zerstochenen Reifen vor. „Das Eis ist nach wie vor dünn“, gibt Klimant zu, „wenn von den vereinbarten Eckpunkten abgewichen wird, ist hier die Hölle los.“

...hinter den immerhin noch gemäßigten Worten, die er eben hörte, lag – er konnte es nicht verkennen – ein zäher Widerstand.

Der Konflikt an der schleswig-holsteinischen Westküste ist so alt wie der Nationalpark selber: Seine Einrichtung durch die christdemokratische Landesregierung stieß schon 1985 auf heftigen Widerstand und kostete die CDU etliche Parteimitglieder an der Westküste. Zwölf Jahre später „will die Region“zwar den Nationalpark, wie Klimant versichert. Großes Mißtrauen herrscht aber gegenüber den vorgeschlagenen Veränderungen.

„Das kommt von eurem klugen Deichgrafen“, rief einer von den Geestleuten, „der immer grübeln geht und dann seine Finger in alles steckt!““Ja, Marten“, sagte Ole Peters, „recht hast du, er ist hinterspinnig.“

Mehr als 100 WissenschaftlerInnen stellten im September 96 im Synthesebericht die Ergebnisse ihrer siebenjährigen Forschung zum Wattenmeer vor und formulierten im Auftrag der Landesregierung praktische Schritte zur Weiterentwicklung des Nationalparkes. „Hier werden erstmalig wissenschaftliche Ergebnisse gesellschaftlich anwendbar gemacht“, schwärmte Hans-Ulrich Rösner, der das „Projektbüro Wattenmeer“der Umweltstiftung WWF-Deutschland in Husum leitet. „Hirngespinste der Wissenschaftler“betitelte dagegen die aufgebrachte Bevölkerung den 800 Seiten starken Bericht und warnte: „Das Nationalparkamt ist kein gallisches Dorf, das gegen den Rest der Welt arbeiten kann.“

Wirtschaftliche Existenzängste auf der einen, leidenschaftlicher Naturschutz auf der anderen Seite – der vermeintliche Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie ist nur einer der Faktoren, die die Wellen an der Westküste immer wieder hochschlagen lassen. Mit dem Protest gegen die Weiterentwicklung läßt sich auch gut Politik machen in einer traditionell konservativen Region eines rot-grün regierten Bundeslandes.

„Ja, ja“, sagte ein alter Gevollmächtigter, „da haben wir nun die Bescherung, und Proteste werden nicht helfen, da der Oberdeichgraf unserm Deichgrafen die Daumen hält.“

Gestritten wird zum Beispiel über die Einbeziehung der Strände in den Park. Bisher beginnt die Schutzzone 150 Meter seewärts vom Deich. „Alle Gebiete, in denen eine natürliche Entwicklung erreichbar ist, müssen zum Park gehören“, meinen Synthesebericht und WWF. Nur der Status des Nationalparks biete langfristig den besten juristischen Schutz für bedrohte Lebensräume. Für die Region sei der Park doch ein „Kompliment“. In der Wahrnehmung der Bevölkerung schüren dagegen Katastrophenvorstellungen von „ghetto-ähnlichen“Begrenzungen des Badelebens die Furcht vor sinkenden Einnahmen. Dabei haben beispielsweise die AmrumerInnen durchaus gute Erfahrungen damit gemacht, das Wandern in den Dünen nur auf festen Wegen zu gestatten. „Die Gäste finden es sogar gut, daß wir etwas für die Umwelt tun“, berichtet Kurdirektor Carl-Heinz Klüßendorf. Bloß den Nationalpark brauche man dazu nicht.

Die Verstimmung in Dithmarschen und Nordfriesland bringt eine ältere Frau auf dem Husumer Marktplatz auf den Punkt: „Uns, die wir hier so lange leben, hat ja keiner gefragt“, schimpft sie, „der Herr Steenblock hat doch keine Ahnung.“Auf die Wissenschaft sei zuviel Gewicht gelegt worden, meint Landrat Bastian. Bernd Scherer, Leiter des Nationalparkamtes in Tönning, sieht durchaus, „daß der Bericht nicht verständlich geschrieben ist“. Abhilfe sollen die „Kuratorien“schaffen, Ausschüsse mit VertreterInnen der örtlichen Interessen-, Fremdenverkehrs- und Umweltverbände, die das Nationalparkamt beraten.

„Und geht es denn?“fragte Elke. „Es geht schon“, sagte er mit einem bitteren Lächeln, „aber ich selber muß die Räder schieben und froh sein, wenn sie nicht zurückgehalten werden.“

Der Umweltminister ist vorsichtig geworden. In dem Bemühen, „die Menschen mitzunehmen“sagte er im März dieses Jahres zu, keine Erweiterung des Parks ohne Einverständnis der Kuratorien zu beschließen. Praktisch brachte dies eine Entspannung an der Westküste, inhaltlich fürchtet aber Rösner vom WWF, „daß es so keine positive Lösung geben wird“. Die ersten gefundenen Kompromisse zur Muschelfischerei stoßen denn auch auf Kritik bei dem Naturschutzverband. Der WWF wünscht sich eine „unabhängige Moderation“, die alle Parteien „immer wieder in die Sachdiskussion zurückführt“.

Die behördlichen SchützerInnen sehen's pädagogischer. „Pragmatischer“, korrigiert Hendrik Brunckhorst, Öffentlichkeitsreferent vom Nationalparkamt, „wir brauchen jetzt endlich mal Ergebnisse.“ Nicht zuletzt muß „die Chemie“stimmen zwischen den AkteurInnen an der Westküste. Das erfordert vom Nationalparkamt Fingerspitzengefühl und persönliche Kontakte: Bei einem gemeinsamen Bierchen im Halliggasthof von Langeneß findet auch der dortige Bürgermeister, „daß man den Herrn Scherer ja mal einladen könnte“.

Er fand andächtige Zuhörer für seine Geschichte von dem Teufelspferd des Deichgrafen, Vollina und ihr Vater hörten in behaglichem Gruseln zu und erzählten sie später allen, die gegen den Deichgrafen einen Groll im Herzen hatten.

Vertrauen in „das Amt“bilden auch die 28 MitarbeiterInnen des Nationalpark-Services, die seit Juli vorigen Jahres vor Ort BesucherInnen und Bevölkerung informieren und Mißverständnisse ausräumen. „Bei neuen Gerüchten lassen die Menschen erstmal bei uns Dampf ab“, berichtet „Ranger“Karl-Heinz Hindebrandt, „das muß man aushalten. Dann hören sie anschließend auch zu.“Die Ranger kommen ausschließlich aus der Region und sind keine „zugereisten Wissenschaftler“.

Noch bis Ende 98 soll im Wattenland diskutiert werden, bevor dann das Landesparlament eine Novellierung des Nationalpark-Gesetzes beschließt.

Wie man die Bevölkerung überzeugt, weiß diese indes vielleicht am besten: Amrums Kurdirektor Klüßendorf zeigt zufrieden die druckfrische bebilderte Farbbroschüre „Willkommen im Nationalpark“, die Fremdenverkehrsverband, Nationalparkamt und WWF seit Juni gemeinsam herausgeben: „So macht man das!“

Und der alte Jewe Manners, der dazwischen stand, rief laut: „Bravo, Hauke Haien! Unser Herrgott wird dir dein Werk gelingen lassen!“

Alle Zitate aus: Theodor Storm, Der Schimmelreiter, Insel Verlag, Frankfurt/Main