Schusters Lehrling trumpft auf

Wolfsburgs Spielmacher Claudio Reyna stellt beim 1:0 gegen den schläfrigen VfB Stuttgart sein geniales Gegenüber Krassimir Balakow klar in den Schatten  ■ Aus Wolfsburg Matti Lieske

Es kommt nicht häufig vor, daß ein Bundesliga-Trainer seiner Mannschaft in der Halbzeit taktische Angebote macht. Beim VfL Wolfsburg schon. „Ihr wirkt müde“, so Willi Reimann, habe er seinen Leuten in der Pause des Spiels gegen den VfB Stuttgart mitgeteilt, „wenn das stimmt, müßt ihr euch eben hinten reinstellen und auf Konter lauern.“ Eine verlockende Offerte, die von den Spielern jedoch dankend abgelehnt wurde. Bei ihrer Ehre als Renner und Kämpfer gepackt, schüttelten sie das verlorene Pokalmatch gegen Bayern München entschlossen aus den Knochen und griffen in der zweiten Halbzeit plötzlich so eifrig und geschickt an, wie sie es am Dienstag gegen die Bayern in der ersten getan hatten.

Jeder Stuttgarter, der das Pech hatte, den Ball zu bekommen, wurde sofort attackiert – auch Keeper Franz Wohlfahrt, welcher derartiges Treiben bekanntlich gar nicht liebt. In ihrer Hilflosigkeit bolzten die Abwehrkräfte des Pokalsiegers die Bälle einfach nach vorn, wo sie leicht abgefangen und umgehend zu schnellen, aber dennoch überlegten Angriffen der agilen Gastgeber verarbeitet wurden. Vor allem der neue Medienliebling Roy Präger sorgte dafür, daß Wohlfahrt einen ungemütlichen Nachmittag verbrachte, auch wenn der flinkfüßige 26jährige meist aufs Tor schoß, wenn er besser noch ein bißchen gelaufen wäre, und den Ball abspielte, wenn er besser geschossen hätte. Müde aber wirkten nur noch die Stuttgarter.

Diese demonstrierten eindrucksvoll, warum sie in diesem Jahr wieder nicht Meister werden. „Wir müssen endlich auch mal auswärts gegen kleine Mannschaften zuschlagen“, bemängelte Trainer Joachim Löw recht hilflos nach dem Match, und Stürmer Fredi Bobic ärgerte sich über die „kurze Schlafphase“ seiner Mannschaft. In Wahrheit dauerte der Schlummer des VfB fast das ganze Spiel. Wach wurden die Schwaben erst nach dem 0:1 durch den kurz zuvor eingewechselten Tyszkiewicz in der 76. Minute. Bis dahin sei es „ein typisches 0:0-Spiel“ gewesen, meinte Löw, wohlwissend, daß ein Unentschieden beim Aufsteiger für einen Meisterschaftsaspiranten auch nicht gerade ein großartiges Ergebnis gewesen wäre.

Bis zur Halbzeit hatte der VfB immerhin in der Abwehr sicher gestanden und vorn hin und wieder gefällig kombiniert, ohne das Tor von Uwe Zimmermann nennenswert zu gefährden. Irgendwann, so die übliche Kalkulation der Stuttgarter in solchen Partien, werde es schon einen Eckball oder Freistoß geben, den man zum siegbringenden Treffer nützen könnte. Als jedoch Berthold, der Präger recht gut im Griff hatte, zur Pause wegen einer Verletzung ausgewechselt werden mußte, vermochten die Gäste dem Wirbel, den die Wolfsburger auf einmal entfachten, nicht standzuhalten. „Wir haben uns nicht mehr gewehrt“, beklagte Trainer Löw und gab zu: „Der VfL hat verdient gewonnen.“

Gewonnen haben die Wolfsburger auch das Duell der beiden derzeit besten Spielmacher der Bundesliga. Während Krassimir Balakow, welcher wahrscheinlich immer noch nicht verwunden hat, daß er bei der Wahl zum Fußballer des Jahres weit hinter Klopper Kohler landete, vom Polen Waldemar Kryger „nicht nur kontrolliert, sondern rausgenommen“ (Reimann) wurde, absolvierte Claudio Reyna erneut ein „Riesenspiel“ (Reimann). In den USA, für die er schon fast 60 Länderspiele bestritten hat, ist der Mann mit der maradonesken Statur und dem entsprechenden Dribbelstil längst ein Topstar, in der Bundesliga darf der 24jährige nach Jahren des Bankdrückens in Leverkusen, wo er einst bei Bernd Schuster in die Lehre ging, erst jetzt zeigen, wozu er fähig ist. Mit seiner Übersicht, seinen Dribblings und seinen präzisen, raffinierten Pässen stürzte er die Stuttgarter Abwehr fortwährend in Panik und bereitete auch den Siegtreffer vor.

Nicht zuletzt Claudio Reyna ist es zu verdanken, daß keiner mehr lacht, wenn der Wolfsburger Oberstadtdirektor in der Stadionzeitung Dinge schreibt wie: „Die Mannschaften des VfL Wolfsburg und des VfB Stuttgart dürfen zur Zeit als gleichwertige Gegner gelten.“ Am Samstag war diese These aus Wolfsburger Sicht noch stark untertrieben.

VfB Stuttgart: Wohlfahrt – Haber, Verlaat, Berthold (46. Schwarz) – Hagner (84. Ristic), Endreß, Soldo, Balakow, Poschner – Akpoborie(76. Raducioiu), Bobic

Zuschauer: 14.741; Tor: 1:0 Tyszkiewicz (76.)

VfL Wolfsburg: Zimmermann – Keller (80. Heidenreich) – Kleeschätzky, Kovacevic – Greiner (74. Deering), Ratke, Reyna, Kryger, Stammann – Meissner (74. Tyszkiewicz), Präger