Für eine handvoll Nudeln

■ Eine Kaltmacherin im Kampf um ein warmes Plätzchen: Beyond Hypothermia von Patrick Leung im 3001

Die Bildoberfläche ist ein Fall für einen guten Eiskratzer. Musickristalle klirren auf der Tonspur, Rauhreifaureolen legen sich um die Köpfe. Die Killerin wartet. Durch zwei Fensterscheiben hindurch visiert sie ihren Auftrag an. Kein Geräusch, nicht einmal ein aufgeregter Atemzug. Im Fenster gegenüber tritt eine Stripperin auf. Die Halbnackte setzt gerade an, sich routiniert dem Ahnungslosen im Fadenkreuz zu widmen. Da drückt die andere Professionelle ab. Ein sauberer Mord, ausgeführt mit der Präzision eines Uhrwerks. Und so unaufgeregt, als habe sie eben lediglich einen Fussel vom Zielfernrohr entfernt, packt die Killerin ihr Werkzeug zusammen. Das einzig Erhitzte in dieser Eröffnungsszene von Beyond Hypothermia ist das Projektil, das dampfend auf einem Eisblock landet.

Die Killerin hat keinen Namen, keine Familie, keine Vergangenheit. Daß sie in Kambodscha geboren wurde, hat ihr die Adoptivmutter erzählt. Doch die ist sowieso Kosmetikerin und verschachert ihre Tochter gerne auf dem Killerstrich. Familienfotos gibt es nicht. Und wenn die Waise manchmal wie ein affektiertes Mädchen vor der eigenen Kamera posiert, dann nur um auch mal jemanden anzulächeln.

Die Namenlose hat gelernt, Haltung zu bewahren. Moralische Defekte, ökonomische Rückschläge quittiert sie mit somnambulen Gleichmut. Sie sieht aus wie eines jener Cyberwesen, die sich die Freizeitindustrie in Hongkong und Japan als menschliche Tamagochis hält, die stellvertretend für ihre Fans tolle Männer in tollen Autos treffen, um mit ihnen in tolle Clubs zu fahren. Die Killerin geht nie aus. Nur zum Nudelsuppenverkäufer um die Ecke, wenn auch sie mal etwas Warmes braucht. Alle drei Monate zieht sie um. Eine andere Perücke, ein anderer Paß. Einziger Hinweis auf ihre Existenz ist die Blutspur ihrer Opfer.

Unverkennbar ist Regisseur Leung bei John Woo und seinem The Killer in die Schule gegangen . Schrägeinstellungen zerschneiden den Raum, Kamerafahrten bringen jede Kontinuität aus den Fugen. Ein reines Zeit-Kino, das mit gegenläufigen Rhythmen und Geschwindigkeiten alle Präsenz ins Bodenlose taumeln läßt.

Leben und Töten bleiben unspektakuläre Angelegenheiten zwischen Phlegma und unerfindlicher Notwendigkeit. Qualvoll und unmenschlich sind allein Verkehrsunfälle. Und so gibt es nur Mitleid für Häscher und Mafiosi, wenn sie unter die Räder kommen. Das Auto als zivilisatorischer Seelensarg, Kulturkritik von der niedlichen Sorte. Aber das macht nichts, denn eigentlich ist Beyond Hypothermia ein sentimentales Märchen, das sich als Gangsteroper verkleidet hat. Seine Heldin gibt eine verwunschene Eisprinzessin mit gefrorenem Herzen ab. Und Erlösung ist hier nur von einem einfachen Mann zu erwarten, der niemals Auto fährt, aber immer einen Teller Suppe bereit hält. Und so ereignet sich irgendwo zwischen den Schnitten, zwischen Sterben und Davonkommen, Kochdunst und Kältenebel eine elegische Romanze. Birgit Glombitza

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