Vorkämpfer der Vaterlandsverräter

■ Pünktlich zu Heinrich Heines 200. Geburtstag inszeniert Jürgen Flimm mit angemessener Treue zum historischen Kontext Harrys Kopf von Tankred Dorst

Prominenz muß furchtbar anstrengend sein, glaubt man den Berichten der Betroffenen. An jeder Tür lauern ein impertinenter Journalist oder Verehrerinnen in Scharen, und niemand interessiert sich wirklich für den Menschen, der hinter dem großen Namen steckt. Wenn dann noch die Sorge um die Unbotmäßigkeit der Nachwelt und eine schwere Krankheit hinzukommen, wird aus einem berühmten Dichter ein bedauernswerter Mann.

Wie alt das Leiden am eigenen Ruhm schon ist, kann man ab Samstag im Thalia Theater erfahren, wenn sich Harrys Kopf das Leben einer verbrieften deutschen Nationallegende vorknöpft. Drei Wochen nach der Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus und relativ pünktlich zu Heinrich Heines zweihundertstem Geburtstag, der am 13. Dezember begangen wird, bringt der bekannte Thalia-Intendant Jürgen Flimm das Stück des gefeierten Autors Tankred Dorst auf die Bühne. „Stars im Anti-Glamour-Rausch“könnte hier das Motto lauten, denn Harrys Kopf ist ein Drama über einen alten, kranken und verzweifelten Mann, der seine letzten Jahre überwiegend unter Einfluß von schmerzstillendem Opium im Bett verbringt und sein Leben durchblättert.

Eine widersprüchliche und komplizierte Persönlichkeit gelte es zu entdecken, erklärt Jürgen Flimm. Heine wurde als kommunistischer Vorkämpfer und Vaterlandsverräter in den Büchern der Herrschenden geführt, und er ließ sich von Rothschild Aktien überschreiben. „Ich habe zwei Meinungen, wie jeder intelligente Mensch“, läßt Dorst ihn in dem Stück sagen, und gegenüber seinem Leibfeind Ludwig Börne höhnt er: „Sie haben Meinungen und halten sie für Charakter, ich aber bin ein Genie.“

Weil das Stück als Retrospektive aus der Sicht des Jubilars angelegt ist, springt es im zeitlichen Ablauf. Aus seiner Matratzengruft heraus erinnert sich Heine mal an eine Soiree im Hause Rothschild, mal an seine Hochzeit mit der geliebten Schuhverkäuferin Mathilde. Tankred Dorst kombiniert biographische Szenen mit literarischen Verweisen, historische Persönlichkeiten mit allegorischen Figuren und Personen aus Heines Werken zu einer Collage, die Jürgen Flimm mit angemessener Treue zum historischen Kontext inszenieren will.

Ein aufwendiges Geburtstagsgeschenk, dieses Stück, das Heinrich Heine nicht hochjubeln will und ihm doch Tribut zollen wird, weil er halt als einer der ganz Großen in den Schulbüchern steht.

Barbora Paluskova

Premiere: Sa., 8. November, 20 Uhr, Thalia Theater