Vom Zigarettendreher zum Fischzüchter

■ Zigarettenunternehmen Reynolds will seine rund 190 MitarbeiterInnen mit „Job Transfer“ vor der Arbeitslosigkeit retten. Trotz Orientierung auf mittlere Unternehmen sind Chancen ungewiß

Eigentlich sind die ersten MitarbeiterInnen des Zigarettenwerks R.J. Reynolds Tobacco GmbH schon seit September arbeitslos. Das Unternehmen verlagert seinen Berliner Produktionsstandort in das Werk nach Trier. Ende September 1998 werden die Werkstore in Reinickendorf endgültig geschlossen. Doch für die rund 190 Beschäftigten ist damit nicht unbedingt Feierabend.

Denn Reynolds hat sich gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Arbeit, Bildung und Frauen etwas einfallen lassen. Das Patentrezept heißt „Job Transfer“. Abgeguckt ist das Modell von Österreich. Dort wird seit 1987 ein vergleichbares Konzept durchgeführt, das ab Dezember auch von Unternehmen der Metallbranche übernommen werden soll.

Ziel ist es, die Betroffenen möglichst schnell wieder in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren. Die ArbeiterInnen haben die Möglichkeit, bis zu 15 Monate an einem mehrphasigen Programm teilzunehmen, das Berufsorientierung, Beratung zur Existenzgründung, Betreuung bei Fortbildungen und Arbeitsvermittlung beinhaltet. Dafür beauftragte Reynolds das Sozialpädagogische Institut.

Die Kosten belaufen sich auf rund 2 Millionen Mark, von denen Reynolds den größten Teil aus Sozialplanmitteln finanziert. Hinzu kommen 210.000 Mark Fördermittel, die zu 45 Prozent vom Land Berlin und zu 55 Prozent aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds stammen. Der Betriebsrat hat eine sechsmonatige Kündigungsfrist durchgesetzt, damit auch die schon im Frühsommer Gekündigten an dem seit September laufenden Job Transfer teilnehmen können.

Das Programm wird auf dem Werksgelände durchgeführt, wo jetzt schon die Maschinen stillstehen. Derzeit informieren sich 110 MitarbeiterInnen über neue Berufsperspektiven und Qualifikations- und Umschulungsinitiativen. So versteht sich das Programm als eine Hilfe zur Selbsthilfe. Einer der Berufsumsteiger ist ein Tabakfacharbeiter, der Zierfischzüchter werden will und gerade ein Praktikum in einem Zoofachgeschäft absolviert.

Die Zukunft der ehemaligen Reynolds-MitarbeiterInnen auf dem Arbeitsmarkt bleibt trotzdem ungewiß. Der Vizepräsident von Reynolds Europa, Siegfried Putritz, sagte gestern, daß die im Durchschnitt 43jährigen KollegInnen mit einer Betriebszugehörigkeit von 5 bis 25 Jahren „keine Möglichkeit“ hätten, in vergleichbaren Branchen in der Region Berlin-Brandenburg unterzukommen. Deshalb sollen die Entlassenen auf kleinere und mittlere Unternehmen hin orientiert werden. Staatssekretär Peter Haupt von der Senatsverwaltung für Arbeit äußerte gestern die Hoffnung, daß sich „die Arbeitslosen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen“.

Der Frust unter den Betroffenen ist groß. Das bestätigte der Betriebsratsvorsitzende Bernd Lück: „Lohn und Kantine waren hier immer gut. Die Firma war wie eine Familie. Damit ist jetzt Schluß.“ Kirsten Küppers