■ Vorschlag
: Old-School-HipHop und Tanztheater im Podewil und im Pfefferberg

Wie sieht eigentlich das Leben jenseits vom Boulevard Périphérique aus, wenn die zum Plattenbauensemble mitgedachte Fabrik pleite ist? In der Kiste mit den Tonträgern rappelt es mächtig und sagt: Nicht gut. Dort finden sich 1997 gleich drei überzeugende HipHop-Produktionen, die, wenn auch mit unterschiedlichen Intentionen, ähnlich Unangenehmes aus den französischen Satellitenstädten über die seit den Achtzigern andauernde Misere berichten. Und während IAM aus Marseille erste Gehversuche in Richtung Gangsta-Style unternehmen, drohen Cool et Sans Reproche aus Nizza mit einem Aufstand, gegen den sich der Mai 68 wie ein Kinderspiel ausnehme. Über allem scheint der smoothe MC Solaar, dessen Kritik an den „modernen Gangstern“ in Chefetagen und Regierungen zwar altbacken, aber deswegen noch lange nicht falsch ist. Seine sarkastische Empfehlung: „Viens dans le quartier, vois le paradis!“

In New York, Paris und Berlin gehört Graffitisprühen zu den Pflichtfächern an der Old School des HipHop Foto: Holger Floß

Heute allerdings kommt das Viertel zu uns und bleibt bis Samstag. Im Gepäck hat es bis auf den Rap alles, was nach den Regeln der „alten Schule“ gleichberechtigt zur HipHop-Kultur zählt: DJs, Graffitikünstler und natürlich Breakdancer, deren beständiges Dilemma zwischen dem Zwang zur Kommerzialität und Street Cred wohl kaum besser illustriert werden kann als durch die Biographie der Berliner Tanzformation Flying Steps: einerseits ein erster Platz bei der Berliner Meisterschaft mit den Wedding B-Boys, Auftritte mit Acts von den Harleckinz über Cartel bis zu Grandmaster Flash, andererseits die Ochsentour mit der Adidas Streetball Challenge und – können Elche eigentlich den Electro-Boogie? – eine „Trendsport meets Klassik“-Präsentation bei Mercedes-Benz.

Mehr Glück haben da die französischen Kollegen von Boogi Sai, Choream, Dynamic Style und Les Mercenaires. Schließlich ist trotz des Abschieds vom Modell der vollentwickelten Industriegesellschaft, die ihren Werktätigen Vollbeschäftigung, Zentralheizung und ein gemeindenah arbeitendes Kulturzentrum anzubieten hat, eine hohe Bereitschaft geblieben, „Kultur für alle“ und „Kultur von allen“ finanziell zu unterstützen. Zudem läßt sich das Ganze relativ schnell ohne Festlegung auf die übliche Exotenrolle ins kulturelle Tagesgeschäft zwischen dem Tanztheaterfestival in Clermont-Ferrand und dem Rencontre Nationale des Danses Urbaines in Paris integrieren. Gewichtige theoretische Gedanken dazu gibt es heute abend zur Eröffnung unter dem Motto „Embodying Ideas – Personal and Transpersonal Performance“ von Slobodan Dan Paich, die Praxis läuft dann morgen ab 19 Uhr mit Graffiti warm, um später mit der neuen, vor Ort entwickelten Koproduktion von Storm & Jazzy Project (Berlin) und Aktuel Force (Paris) einige Legenden des Genres auf die Bühne zu bringen. Gunnar Lützow

„Danses Urbaines“ vom 18. bis zum 22.11. im Podewil und im Pfefferberg. Heute um 20.30 Uhr im Podewil Eröffnungsvortrag von Slobodan Dan Paich, morgen ab 19 Uhr Graffiti-Demonstration, 20.30 Uhr Aktuel Force und Storm & Jazzy Project, 22 Uhr Boogi Sai, danach Jam und Party mit DJ Hype. Weitere Programminfos unter Tel. 247496