Leere Walversprechen

Die Bundesregierung propagiert Hilfe und Schutz für Kleinwale – und widersetzt sich einem Schutzgebiet vor Sylt  ■ Von Achim Fischer

Vier Tage lang konferierten Vertreter sieben europäischer Nationen in dieser Woche über den Schutz von Kleinwalen, zu dem sie sich vor fünf Jahren in einer gemeinsamen Erklärung verpflichtet hatten. Ergebnis: Das Leben der Wale soll besser erforscht, ein Sekretariat soll von Cambridge nach Bonn verlegt werden. Der Forderung von Umweltverbänden, ein Walschutzgebiet vor Sylt einzurichten, schlossen sich die Vertragsstaaten nicht an. Fazit der Tagung aus Sicht des WWF-Sprechers Stephan Lutter: „beschämend“.

Nord- und Ostsee sind Lebensraum mehrerer Walarten. Am häufigsten sind Schweinswale. Alleine in der mittleren und südöstlichen Ostsee gibt es schätzungsweise 175.000 dieser schwimmenden Säugetiere. Sie werden bis zu 1,80 Meter groß und achtzig Kilogramm schwer. Vor allem im Frühsommer und Herbst kommen die Wale sehr dicht an die Küste, wandern in Wattströme und Flüsse und gebären und stillen dort ihren Nachwuchs. Besonders beliebt unter Schweinswalen: die Umgebung der nordfriesischen Inseln Amrum und Sylt. Die Dichte der sogenannten Wal-Schulen – Gruppen von Muttertieren und Jungen – ist dort dreimal höher als in der offenen Nordsee. Sie werden vor der Küste vor allem durch die Fischerei gefährdet. 4000 Schweinswale ertrinken jährlich alleine in der Nordsee in Fangnetzen. Speed-Boote und Jet-Ski-Fahrer gefährden die Tierart zusätzlich.

Das Umweltbundesamt erachtete schon vor der Bonner Konferenz die Einrichtung eines Walschutzgebietes vor Sylt für notwendig. In einem Abstand bis zwölf Seemeilen vor dem Strand sollten Fischerei sowie diverse Wassersportarten ausgeschlossen werden. Umweltverbände wie der World Wide Fund For Nature (WWF) oder die Naturschutzstation Wattenmeer verfaßten eine entsprechende Resolution als Beschlußvorschlag für die Tagungsteilnehmer. Sie verwiesen – neben dem Nutzen für die Tiere, deren Zahl seit Jahrzehnten zurückgeht – auch auf Vorteile für die Menschen in der Region. So hätte das Urlaubsgebiet Nordfriesische Inseln mit einem Walschutzgebiet ein zusätzliches Aushängeschild.

Die Verbände konnten ihre Resolution jedoch in Bonn nicht vortragen, da sie lediglich als Beobachter zugelassen waren. Nur die Delegationen aus Belgien und Dänemark, den Niederlanden, Großbritannien, Polen, Schweden und Deutschland konnten Themenvorschläge einbringen. Das Bundesministerium für Landwirtschaft, Forsten und Fischerei sorgte mit einem Veto dafür, daß das Papier der Umweltverbände nicht durch die deutsche Delegation vorgetragen wurde.

„Die Vertragsstaaten haben wieder eine Gelegenheit versäumt, sich für konkrete Maßnahmen zum Schutz der gefährdeten Kleinwale einzusetzen“, kritisierte WWF-Sprecher Lutter. Statt der Ausweisung eines Sperrgebietes beschlossen die Tagungsteilnehmer, eine dreijährige Studie über mögliche Konflikte zwischen Naturschutz und wirtschaftlichen Nutzungen im Seegebiet vor Sylt abzuwarten. „Ein klarer Widerspruch zur FFH-Richtlinie der Europäischen Union“, schimpft Lutter über die Abwägung von Naturschutz- und Wirtschaftsinteressen. Denn: Nach der EU-Bestimmung (Flora-Fauna-Habitat) müssen die Nationen wichtige Lebensräume seltener Tierarten unter Schutz stellen – unabhängig von tatsächlichen oder möglichen wirtschaftlichen Nutzungen dieser Gebiete. Die Schweinswale stehen auf der FFH-Liste.

Auch Lothar Koch, Sprecher der Schutzstation Wattenmeer, zeigte sich nach der Konferenz „enttäuscht“über die „Vertagung von Taten“. Zur Verteilung der Kleinwale lägen nach jahrelanger Forschung „hinreichende Ergebnisse vor“. Jetzt hoffen die Naturschützer auf Hilfe durch die rot-grüne Landesregierung in Kiel. Schleswig-Holsteins Regierung hätte „nun Gelegenheit, durch die Ausweisung eines Schutzgebietes für Kleinwale in ihrem Hoheitsgebiet zu zeigen, daß sie die Verantwortung für unsere heimischen Kleinwale ernster nimmt als die Bundesregierung“, forderte Koch.

Der WWF kritisierte eine weitere Entscheidung der Polit-Konferenz. Die Vertragsstaaten bezeichneten es in ihrer Abschlußerklärung als „nicht akzeptabel“, wenn jährlich mehr als zwei Prozent des Bestandes durch unabsichtliche Walfänge – sogenannte Beifänge – getötet werden. Die Umweltschützer fordern dagegen eine jährliche Beifangquote von maximal einem Prozent. Das entspräche immer noch 1700 Walen.