Schrulliger Charme rund um die Torte

■ Das Café Mandaler in Wiesbaden sorgt seit fast 140 Jahren für stilvollen Tortengenuß

Mittags strömen sie alle herbei, die Rentner, Schüler und Bürokraten der Ministerien. Um ihr Magenknurren zu stillen, nehmen sie nicht etwa Platz in einer schnörkellosen Kantine, sondern im Wiesbadener Original, dem Café Mandaler. Dort wartet der täglich wechselnde Mittagstisch, und wer den verschmäht (so gut ist er nun auch wieder nicht), langt gleich zum Dessert. Schwarzwälder Kirsch, Herrentorte und andere teuflisch sahnige Kreationen treten vor dem Gast in Konkurrenz.

Ins Café Mandaler geht man jedoch nicht nur der Torten, sondern vor allem der Atmosphäre wegen. So lassen sich auf den gestreiften Samtbänken und den Bistrotischchen mit den Webtischdecken vor allem Menschen mit Sinn für Tradition und Ästhetik nieder. Seit 1859 logiert das Mandaler in der Wiesbadener Altstadt. Porzellanpüppchen in der Glasvitrine, ein Aquarium mit Goldfischen, Spiegel so weit das Auge reicht – ein Hauch von Museumsflair liegt in der Luft.

Die zwei Damen am Ecktischchen speisen fast jeden Tag am gleichen Platz. Ihr onduliertes Weißhaar wirkt so gepflegt wie ihre Tischmanieren. Erst beim Nachtisch wird über Krankheiten gesprochen, vorher herrscht konzentriertes Schweigen. Selbstverständlich fragt der altehrwürdige Kellner, wie es geschmeckt habe. „Ein bißchen anders, heute“, kommentiert die eine, fügt aber gleich hinzu, daß es wohl am Rheumatismus liege. Das Halten der Gabel habe ihr heute ein wenig zu schaffen gemacht. Kartoffeln und Schweinebraten sind somit nochmal gut davongekommen.

Neben den alten Leutchen sitzen die Businessmenschen in roten Ledersesseln, werfen von Zeit zu Zeit einen prüfenden Blick auf ihr Spiegelblild und widmen sich dann wieder den gefüllten Kuchentellern. Nebenbei wird mit der Zeitung geraschelt, schließlich ist man nicht nur zum Vergnügen da. Börsenkurse und Dow-Jones nehmen auch in der Mittagspause in die Pflicht.

Wer auf Diät ist, sieht sich an den Butterplätzchen und Petit fours satt und bestellt einen Tee. Passanten bewundern derweil im Schaufenster die prachtvolle Hochzeitstorte, die auf Bestellung auch für auswärtige Feiern gebacken wird. Drinnen wirbeln die Kellner mit weißem Hemd und Weste geflissentlich zwischen den Tischchen hin und her, nehmen Bestellungen auf und pirschen sich vorsichtig an den Tisch, wenn Schichtwechsel ist. „Könnt' ich kassieren, wenn ich bitten darf?“, wo hat man das zuletzt gehört? Die Wiesbadener nehmen die Höflichkeit gelassen. Lässig schauen sie von ihren Zeitungen auf, kramen nach dem Portemonnaie und würdigen dem freundlichen Geist nur einen kurzen Blick. Man ist gewohnt, so bedient zu werden.

Und so tut sich auch die Jugend nicht schwer mit dem musealen Ambiente. Nachmittags sitzen Mädchengrüppchen schwatzend beieinander, essen Käsesahnetorte und trinken Cola oder Kaffee. Den gibt es leider vor allem nach deutscher Art, mit Sahne aus der Dose. Wer einen Cappuccino bestellt, muß mit Sahnehäubchen rechnen, von Milchschaum hat man im Mandaler noch nicht gehört. Aber der gehört vielleicht in eine andere Zeit. Letztendlich sind Espresso und Milchkaffee Errungenschaften einer Generation, die, von Mittelmeerländern inspiriert, die deutsche Kaffeehauskultur aufpoliert hat. In die Küche des Mandaler ist ihr Geschmack noch nicht vorgedrungen. Christine Berger

Café Mandaler, Marktstraße 34, 65183 Wiesbaden, Tel. (0611) 30 52 14, Mo-Sa 7.30 - 20.30 Uhr, So ab 10 Uhr