Filme unter freiem Himmel

François Morenas lockt Wanderer und Cineasten in sein Felsennest in der französischen Luberon. Die erste Kultur-Auberge der Region ist eine Alternative zu den provenzalischen Tourismus-Highlights  ■ Von Richard Laufner

Diesmal können sich die Singzikaden in dem improvisierten Open-Air-Kino-Amphitheater kaum durchsetzen. Trotz Stummfilm. Zum Murnau-Klassiker ist aus der Stadt eigens eine Pianistin zur Begleitung angereist. Sandrine gibt auf dem strapazierten alten Piano ihr Bestes. Bei Thymianschwaden und Blick auf die dunklen Umrisse des 1.125 Meter hohen Luberon-Gipfels Mourre Negre findet sich auch Filmemacherin Agnes Varda auf den groben Steinstufen ein, um nach Einbruch der Dunkelheit den expressionistischen „Sonnenaufgang“ zu sehen.

Die Regisseurin („Die eine singt, die andere nicht“) und die 70 Zuschauer dürfte nicht nur der legendäre Stummfilm aufs Land gelockt haben. Eher schon das pittoreske Ambiente. Nicht zuletzt aber die lebende Kino-Legende, die diesen expressionistischen Klassiker per 16-mm-Projektor auf die Bettuch-Leinwand warf: François Morenas, 83 Jahre alt.

Der Luberon, ein Gebirgszug zwischen Côte d'Azur und Vaucluse, ist der Landstrich mit der landesweit größten Swimmingpool-Dichte. Und Peter Mayles heitere Provence-Erzählungen haben nach einem internationalen Millionenerfolg bei Orts- und Personen-Namensnennung in den betroffenen Dörfern eine wahre Touristenplage ausgelöst.

Als François Morenas 1936 als 22jähriger beim Finanzamt in Apt eine Auberge de Jeunesse anmeldete und für seinen geplanten Sozialtourismus um Steuerbefreiung nachsuchte, erntete er für die erste Herberge dieser Art in der weiten Region Kopfschütteln. Entschiedener Pazifist und Ökologe „avant l'heure“ war der überzeugte Provenzale damals schon. Und ein Verfechter deutsch-französischer Verständigung. Nie sollte sich wiederholen, was sein Vater ihm von den Schützengräben und Giftgasattacken im ersten Weltkrieg erzählt hatte. François Morenas' strikter Pazifismus hielt ihn nach dem Einmarsch der Nazis vom bewaffneten Widerstand der Resistance fern. Aber der Ortskundige versteckte zahlreiche Juden vor dem Zugriff der Gestapo.

Wer heute von Apt über das felsige Saignon auf holprigen Sträßchen zur Jugendherberge „Regain“ vordringt, findet zunächst einen Schafsstall, an dem ein Kinoplakat hängt. Innen ausrangiertes rotsamtenes Kinogestühl, historische Plakate von Chaplin und Fritz Lang, der Garbo und Marlene Dietrich, Jean Gabin und Leni Riefenstahl. Vor dem „Kino“ schütteln zwei Kids einen üppig tragenden Mandelbaum und knacken anschließend die Beute mit Steinbrocken.

Eine in den Felsen gehauene, unscheinbare Steintreppe führt zu Morenas' „Nest“. Die Jugendherberge „Regain“ (dt. 2. Heuernte oder auch Wiederbelebung), benannt nach einem Romantitel des befreundeten provenzalischen Dichter-Philosophen Jean Giono (1895-1974), klebt förmlich am Steilhang, versteckt von Ahorn, Feigenbäumen und Steineichen. Zuflucht war sie schon in früheren Jahrhunderten: Mit Sicherheit versteckten sich Mitte des 17. Jahrhunderts Protestanten in den in den Fels gehauenen Räumen vor Richelieus Nachstellungen.

Heute ist „Regain“ für die bis zu 50 Gäste vornehmlich aus Frankreich und Deutschland eher eine Alternative zu den provenzalischen Tourismus-Highlights. Eine Kuhglocke ruft zum gemeinsamen Abendessen auf die Veranda. Statt Swimmingpool hängt an einer Felsquelle eine Suppenkelle zum Schöpfen, statt Disco gibt es wöchentlich Stummfilmklassiker auf groben Felsenstufen.

Von seinen Aktivitäten künden mehrere Bücher und Broschüren: Seine Nachkriegsjahre mit einem rollenden Kino quer durch die Provence, die Bemühungen um Jugendherbergen und die Wanderwege in Luberon und Vaucluse. Morenas und seine Frau und Malerin Claude haben schon viele Gäste mit Machete und gelben oder blauen Farbeimern losgeschickt, um Wege (nach-)zumarkieren (baliser). Allerdings wurden nur ganz wenige dabei von einer Viper gebissen, wie die Schulbuch-Lektion der unvermeidlichen „Etudes Françaises“ dramatisiert, um deutsche Eleven aufzuwecken.

Immerhin wurde „François“ und die Region durch „Etudes Françaises“ einem Millionen-Publikum von Französisch-Schülern und -Lehrern bekannt. Neben Schulbuch-Autoren und – außerhalb der Saison – Schulklassen findet ein Publikum zwischen 20 und 60 Jahren den Weg in die filmträchtige Felsenherberge: Vom Freakpärchen aus der Bretagne, den Sozialpädagoginnen aus Holland bis zu Reinhard, dem Professor aus Berlin.

Zur überregionalen Popularität des Auberge-Gründer trägt auch ein Pavillon in Cannes bei. Auf Einladung der Filmfestspiele zeigt der Kino-Veteran dort alljährlich seine Zelluloid-Favoriten. Dabei verhehlt der 83jährige nicht, daß er am zeitgenössischen Filmgeschehen kaum Interesse hat.

Wie lange er das wohl noch machen wird, wurde François Morenas in der Regionalzeitung La Provence gefragt. Diebisch gefreut hat ihn, daß seine expressionistische Antwort tags darauf auf der gleichen Seite abgedruckt war wie das Papst-Spektakel in Paris: „Solange, bis Gott mich holt – oder der Teufel.“

Kontakt: AJ Regain, par Saignon- Apt, 84 400 Apt, Tel 0033 / 4-90 74 39 34