Maulwürfe im Hinterhof

Trainer Hannes Linßen will mit dem biederen Fußball-Zweitligisten FC Gütersloh aufsteigen und weiß auch schon, wie: „Wir müssen schlauer sein als Bayern München“  ■ Von Jörg Winterfeldt

Mitte November war Hannes Linßen zum Interview beim Sportsender DSF geladen. Seit über 30 Jahren kennt der derzeitige Trainer des Fußball-Zweitligisten Gütersloh nun das Bundesliga-Geschäft und also auch den Hintergrund für derartige Auftrittsanfragen. „Entweder steht man kurz vor der Entlassung“, schwante es Linßen, „oder es geht nach oben.“ Er reiste in Ruhe. Sein Verein steht unversehens im Aufstiegsanwärterbereich, er nicht zur Diskussion.

Klammheimlich veranstaltet der wildfrisierte Linßen in der biederen westfälischen Kleinstadt Gütersloh dieser Tage ein größeres Fußballwunder. In der vergangenen Saison beinahe abgestiegen, zur Erfüllung von Lizenzauflagen um seine drei Leistungsträger Bonan, Böger und van der Ven ärmer, bewirbt sich die 93.000-Seelen-Gemeinde im Schatten Bielefelds nun um einen Erstligaplatz. Mit einer Hartnäckigkeit gar, die selbst der Fachwelt das Lächeln über den Höhenflug vertreibt. Sechs Siege, sechs Remis, nur einmal haben Linßens Kicker bisher verloren – daheim gegen Freiburg. Zum Sonntagspiel bei den Stuttgarter Kickers reist man als Tabellenzweiter – hinter Uerdingen, aber vor Freiburg und Frankfurt.

Dabei lästerte zu Saisonbeginn noch die Millerntor-Stadionzeitung pauli zum FCG-Gastspiel, der Gegner „vegetiert im lichtarmen Hinterhof der nordrhein-westfälischen Bundesligaklubs“, sein Name löse „auch bei wohlwollender Betrachtung keinen Fußball- Glanz, keine Visionen“ aus. Als der ran-Mann Wontorra im Oktober in der Sendung verkünden mußte, daß die Ostwestfalen den dritten Ligaplatz eingenommen hätten, brach, zur Kränkung einer ganzen Kleinstadt, sein Studiopublikum in geschlossenes Hohngelächter aus.

In der Tat erstaunt der Siegeszug der Grün-Weißen sogar die eigene Heimat. Des Vereins strukturelle Voraussetzungen vermögen nämlich seinen provinziellen Ruf in der Republik kaum zu korrigieren. Das Heidewald-Stadion gehört dem örtlichen Schützenverein, Komfort bietet es so wenig, daß das Gros der Fans ungeschützt im Freien steht, die VIPs in Partyzelten betüdelt werden müssen.

Obwohl ihre Kapazität nur 13.500 Plätze umfaßt, war die Dorf-Arena nicht einmal zu den Spitzenspielen gegen Frankfurt oder Uerdingen ausverkauft, so daß der Vereinsvorsitzende Jürgen Krämer, ein ehemaliger Bertelsmann-Manager, über „ein Gesetz der umgekehrten Maßstäbe“ flucht: „Scheinbar müssen wir schlechter Fußball spielen, damit mehr Leute in den Heidewald kommen.“

Auch der Trainingsplatz hinkt dem professionellen Streben des Vereins hinterher. Maulwürfe machen es sich dort gemütlich oder die Hühner vom nahen Bauenhof, und einmal hatten Camper zur Belustigung der Bundesliga-Balltreter ihre Behausung am Tor verknotet.

Daß sich die Gütersloher dennoch gegen die renommierte Konkurrenz behaupten, liegt an der findigen Führung. Der Trainer Linßen konnte die teuren Abgänge, die zwei Millionen Mark bescherten, mit kostengünstigen Neuzugängen mehr als auffangen. Den Zweitliga-Torjägerkönig Angelo Vier, bisher viermal Schütze eines Siegtores, überredete man so rechtzeitig, daß die Erstliga-Konkurrenz verspätet vor unterzeichneten Verträgen stand. Den Mittelfeldregisseur Uwe Weidemann, in Gütersloh zuständig für Kunstschuß-Treffer, holte man aus Berlin, als er dort voller Frustration von der Hertha x-mal vertröstet worden war. „Wir müssen schlauer sein als Bayern München“, verkündet die niederrheinische Frohnatur Linßen, „denn anders als die haben wir weder Titel noch Geld, noch Tradition.“ Linßen, in der zweiten Liga zu Hause wie kein zweiter, mag mit Gütersloh „kein zweiter SV Meppen werden“.

Der Manager Volker Graul war einst in Bielefeld ein erfolgreicher Torjäger, später dann Autohändler. Er ist Linßens Pendant im Ehrgeiz wie für die kuriosen Momente. Wenn es darum geht, ungewöhnliche Wege zu gehen, ist er zur Stelle. In der Regionalliga wandelte er kurzerhand das Prämiensystem in ein Roulettespiel um, als der Aufstieg in Gefahr geriet: 150prozentige Erhöhung der Punktprämien plus Aufstiegsprämie in doppelter Höhe der Gesamtpunktprämien im Erfolgsfall, keinen Pfennig für die Spieler bei Nichtaufstieg. Weil er die Großzügigkeit in Höhe von einer Million Mark bei den Lizenzangaben dummerweise vergaß, mußten Juristen die Zweitliga-Zugehörigkeit Güterslohs ermitteln. Neulich dann verkündete der Manager: Für die Verpflichtung des Uerdingers Wollitz „würde ich in Gütersloh sogar Geld klauen gehen“.

Ohnehin macht Graul gerade erneuten Handlungsbedarf aus: „Wenn wir jetzt zwei Millionen Mark in Verstärkungen investieren“, rechnet er kühn, „steigen wir sicher auf, haben im nächsten Jahr garantierte Fernseheinnahmen in Höhe von 25 Millionen Mark und keine Sorgen mehr.“ Dabei beträgt derzeit der Gesamtetat gerade einmal 8,5 Millionen Mark.

Der Klubchef Kräme, der zwar stets ausgelassen im feinen Zwirn in der Raupe seines Teams mit über den Rasen krabbelt, aber nur mit Mühe Grauls letzte Panne bereinigen konnte, bremst den euphorischen Mathematiker. Noch geizen die Sponsoren, inklusive Krämers Exarbeitgebers, mit Zuwendungen und der sendebefugte Kanal DSF mit laufenden Bildern aus Gütersloh. Allerdings auch aus praktischen Gründen: Im Heidewald-Stadion soll frühestens im März eine Flutlichtanlage stehen.