„Sieht eben toll aus!“

In-Line-Skaten: Kombination von Kraft und Bewegungsgefühl, schwärmen die einen; Verletzungen sind programmiert, warnen andere  ■ Von Ralf Streck

Wackelige Knie, Panik im Blick und die Arme weit ausgestreckt, um möglichst den nächsten Laternenpfahl für eine Vollbremsung zu erwischen. So sehen die Erfahrungen vieler Menschen aus, die sich zum ersten Mal In-Line-Skates unter die Füße schnallen. Die meisten schaffen es dann doch, der Laterne habhaft zu werden. Wenn's nicht klappt, wird der erste Rollversuch unter Umständen mit einer Freifahrt im Krankenwagen belohnt. Die Hälfte aller Verletzten sind AnfängerInnen.

„Die Autodidakten laufen ins offene Messer“, sagt der Dozent für Sportwissenschaften an der Hamburger Universität, Volker Nagel. Seit 1993 beschäftigt er sich intensiv mit In-Line-Skating. Doch für den begeisterten Skater wiegen die Vorteile ganz eindeutig die Gefahren auf. „Es ist ein ganzheitliches Training, eine Kombination von Kondition und Koordination“, schwärmt er. Und die Verbindung von Kraft, Ausdauer und Bewegungsgefühl fördere das oft defizitäre Gleichgewichtsgefühl, vor allem bei Kindern.

„Skaten ist gelenkschonender als Joggen, stabilisiert die Rückenmuskulatur wie sonst nur Skilanglauf“, fügt Nagel hinzu. Die schnelle Erlernbarkeit und die Verwandtschaft mit Sportarten, die ohnehin in der Bevölkerung verbreitet seien, prädestinierten In-Line-Skating für eine Freizeitsportart mit Zukunft. Um die damit verbundenen Gefahren zu kompensieren, entstand im März 1996 die Hamburger Inline-Skating-Schule (His).

Volker Nagel, der die Schule ehrenamtlich leitet, berichtet: „10.000 Skater waren in unseren Kursen, und dabei hat sich gerade mal einer verletzt.“Seine KursteilnehmerInnen geben ihm recht. „Wenn man das nicht richtig gelernt hat“, bemerkt die 48jährige Barbara Helms, „dann ist das vielleicht gefährlich. Ansonsten ist das Risiko kleiner als beim Autofahren.“Sie und ihr 51jährige Mann hatten nach einer sportlichen Betätigung gesucht, die sie problemlos in ihren Alltag integrieren können. „Sieht halt toll aus, man kriegt Lust darauf“, ergänzt sie begeistert.

Für Sabine Trapp (38) haben schon die ersten beiden Kursabende viel gebracht. Zunächst habe sie es im Selbstversuch probiert, dabei aber festgestellt, „daß mir dafür meine Knochen doch zu schade sind“. Jetzt lernt sie im Kurs bei Volker Nagel, wie sie mit Bogentreten auf acht Rollen um die Kurve und im Hockey-Stop zum Stehen kommt. Nach eineinhalb Stunden Übung ist der 26jährige Peter Hansen verschwitzt, abgekämpft, aber zufrieden. „Der macht das echt gut“, lobt er seinen Kursleiter. „Ich habe an einem Tag mehr gelernt als in drei Jahren auf der Straße.“

„Schützen, stützen und stürzen können“heißt Nagels Motto. Skaten habe mit seinen positiven gesundheitlichen Aspekten auch präventive Nebenwirkungen. Das sagt Nagel besonders auch im Hinblick auf die kommende Skisaison. „Zu trockene Skigymnastik und sture Konditionsbolzerei führen oft in den Tod noch so guter Vorbereitungsvorsätze.“Gefragt sei ein Sommer- und Herbsttraining mit Spaßfaktor, das den Anforderungen des Skisports möglichst nahe kommt – In-Line-Skating eben.

In Hamburg sind inzwischen etwa 150.000 rollende ZeitgenossInnen unterwegs – Tendenz steigend. Mit einer Geschwindigkeit von 18 bis 25 Kilometern pro Stunde fetzen sie über den Asphalt. Unfälle sind programmiert. Von 1995 auf 1996 habe sich die Zahl der Verletzten verfünffacht, führt Ralf Erik Hilgert, Unfallchirurg im Universitätskrankenhaus Eppen-dorf (UKE) aus – allerdings fahren auch mehr Menschen auf Rollen als früher.

Die Hälfte der 200 registrierten Verletzungen seien Brüche, „zwei Drittel davon liegen unterhalb der Elle“. Nach UKE-Statistiken sind Jugendliche im Alter bis zu 15 Jahren in mehr als der Hälfte der Fälle die Opfer. „Die meisten Brüche sind bei ihnen eine harmlose Sache“, bemerkt Hilgert. „Entsprechende Schutzkleidung fehlt leider oft“, bemängelt er. Viele Verletzungen hätten damit verhindert oder gemildert werden können, wie Untersuchungen aus den USA zeigten.

Während Erwachsene normalerweise nach vorne fielen, kippten Kinder oft nach hinten um. „Da haben wir dann die Schädelbrüche“, insgesamt bisher drei, resümiert der Unfallchirurg. Zum absoluten Skate-Vergnügen gehörte deshalb nicht nur ein vorbereitendes Training, sondern auch eine vernünftige Ausrüstung: neben Knie-, Ellenbogen- und Handgelenkschützern vor allem bei den Kids auch ein Helm.

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