„Zu Hause war nichts normal“

■ Töchter aus Suchtfamilien werden häufig selbst abhängig

Kinder von Alkohol- oder Drogenabhängigen müssen oft eine für ihr Alter unangemessen große Verantwortung übernehmen. Sie kümmern sich um die Geschwister, den Haushalt oder überhaupt darum, nach außen eine Fassade aufrechtzuerhalten. Während die Jungen in einer solchen Situation zu Verhaltensauffälligkeiten tendieren, entwickeln Mädchen eher autoaggressive Verarbeitungsweisen. Für diese jungen Frauen bietet die Beratungsstelle Frauenperspektiven in Altona ab Ende April eine angeleitete Gruppe zum Thema „Bei uns zuhause war nicht normal“an.

Erfahrungen haben gezeigt, daß in den Biographien der jungenFrauen, die Suchtprobleme oder andere problematische Verhaltensweisen entwickelt haben, die Abhängigkeit der Eltern überdurchschnittlich oft auftaucht. Auch wenn nur eine Elternteil suchtmittelabhängig ist, stehen beide in der Regel den Kindern nicht adäquat in der Elternrolle zur Verfügung.

„Töchter aus Suchtfamilien haben oft keine Chance, ihre Gefühle zu entwirren“, sagt Silka Hagena, Diplompsychologin bei Frauenperspektiven. Sie hat gemeinsam mit Elke Peine von der Mädchenanlaufstelle Kajal die Idee für das Projekt entwickelt.

Die interventive Gruppe mit nicht mehr als zehn Teilnehmerinnen ist für 17- bis 23jährige gedacht. „Sie leben noch zuhause oder haben die Loslösung gerade vollzogen und befinden sich daher in einer kritischen Lebensphase“, hat Hagena beobachtet. „Sie haben Angst, die Mutter mit dem trinkenden Vater oder die Geschwister mit der tablettensüchtigen Mutter allein zu lassen.“Das Angebot richtet sich an Frauen, die in einer Ko-Abhängigkeit leben, sich in einem sozialen Beruf verausgabt haben, mit Eßstörungen kämpfen oder an der Schwelle zur Sucht stehen.

„Wir wollen mit zehn Gruppenabenden in das Thema einsteigen, um herauszufinden, welche Erfahrungen für die jungen Frauen trotz allem nützlich sind und welche ihnen im Wege stehen“, sagt Silka Hagena. Danach ist bei Bedarf der Aufbau einer Selbsthilfegruppe möglich. Denn eines haben viele Töchter aus Suchtfamilien gemeinsam: Sie machen sich ihre Überforderung nicht klar.

Lisa Schönemann