Spannung in der Strombranche

Industrieverträge für die Durchleitung sind geschlossen. Die Deregulierung der Stromversorgung stranguliert die kommunalen Energieversorger  ■ Von Peter Sennekamp

Berlin (taz) – Die deutschen Strommonopole, seit dem Jahr 1935 mit dem Energiewirtschaftsgesetz in Kraft, werden geknackt. Die Stromnetze sollen allen Anbietern und Abnehmern „diskriminierungsfrei“ zugänglich werden, suggeriert die geplante Energierechtsnovelle der Bundesregierung. Bundespräsident Roman Herzog liegt seit einer Woche der von der Regierungskoalition gegen die Stimmen von SPD, Grünen und PDS beschlossene Gesetzentwurf zur Neustrukturierung der Stromwirtschaft zur Unterzeichnung auf dem Schreibtisch.

Die Novelle ist umstritten: „Es ist ein großer wirtschaftlicher Erfolg für Investitionen und Arbeitsplätze“, schwärmte Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt. Völlig gegensätzlich fällt die „Warnung an Städte und Gemeinden vor Panikverkäufen ihrer Stadtwerke“ durch den SPD-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Energie, Volker Jung, aus.

Zukünftig sollen deutsche Groß- und Kleinabnehmer von der Automobilindustrie bis zum Singlehaushalt ihre Stromlieferanten frei wählen können – die billigsten Anbieter von Strom sollen „im brancheninternen Wettbewerb“ das Rennen machen, so Rexrodt. Die besten Chancen werden in diesem „Wettbewerb“ allerdings den bisherigen Stromriesen und Monopolisten RWE, VEBA und Bayernwerk eingeräumt, da sie billigeren Großkraftwerken Vorrang vor umweltgerechteren und verbrauchernahen städtischen Heizkraftwerken geben.

Ob Bundespräsident Herzog jedoch das Energiewirtschaftsgesetz unterzeichnet, ist ungewiß. Denn der Bundesrat wurde nicht an der Entscheidung beteiligt, obwohl die die Länder und Kommunen maßgeblich von der Gesetzesnovelle betroffen sind. So würden von den rund 900 kommunalen Stadtwerken binnen einer Dekade weniger als die Hälfte bleiben und Arbeitsplätze verlorengehen, fürchtet der Sprecher der Kölner Stadtwerke, Wilfried Räpple. Der schleswig- holsteinische Energieminister Claus Möller (SPD) rechnet sogar mit einer „Marktkonzentration auf wenige Oligopole“. Inzwischen erstellte der Bielefelder Verfassungsrechtler Joachim Wieland ein Gutachten im Auftrag der SPD, laut dem der novellierte Eingriff in das „Wegerecht der Kommunen“ einen Bundesratsbeschluß zwingend fordert. Das Bundespräsidialamt erklärte inzwischen, „der Bundespräsident wird die Gesetzesvorlage umfassend prüfen“, ein Zeitpunkt für die Unterzeichnung sei nicht absehbar.

Hintergrund der geplanten Novelle ist die europäische Richtlinie für einen Elektrizitätsbinnenmarkt, mit dem der Stromhandel ab Ende des Jahres 1999 europaweit ausgedehnt werden soll. Zunächst soll die bereits in Kraft getretene EU-Richtlinie, die vom Bundeswirtschaftsministerium massiv forciert wurde, nur für Strom-Großabnehmer (40 Gigawattstunden pro Jahr) gelten. Doch der novellierte Gesetzentwurf des Rexrodt-Ministeriums räumt den Energie- und Wirtschaftsverbänden in Deutschland eine „freiwillige Verbändevereinbarung“ ein, mit der auch die kleinen Stromkunden einbezogen werden sollen. In dieser am 2. April beschlossenen Verbändevereinbarung zwischen dem Bundesverband der Deutschen Industrie, der Vereinigung Industrielle Kraftwirtschaft sowie der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke wurden Preise für die Durchleitung von Strom durch die deutschen Leitungsnetze festgelegt. In dieser Vereinbarung ist allerdings bereits ein „entfernungsabhängiges Durchleitungsentgelt bei Entfernungen über 100 Kilometer“ für das Verbundnetz festgelegt, der einen Strombezug von weit entfernten Anbietern unattraktiv macht. Die großen Industrieverbände fordern anläßlich der Verbändevereinbarung „eine Lenkungsfunktion, die wirtschaftliche Anreize schafft, möglichst verbrauchsnah zu erzeugen“. Die energiepolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, Michaele Hustedt, bezeichnete das Durchleitungsentgelt darum als „Schutz für die großen Stromkonzerne“.

Nicht geregelt ist in der Verbändevereinbarung, wie Haushalte von der Deregulierung der Stromwirtschaft profitieren sollen. In den vergangenen zehn Jahren sanken die Preise für Strom an die Industrie um 12,2 Prozent, während gleichzeitig die Privathaushalte um 3,8 Prozent stärker zur Kasse gebeten wurden.