Die Schöner-Wohnen-Falle

Renovierung der anderen Art: Werbefotograf Joachim Jankowski wohnt in einer sorgsam inszenierten Bruchbude  ■ Von Gernot Knödler

„Das waren alles weiße Rauhfaser“, sagt Joachim „Jo“ Jankowski, „top gemacht“. Der 32jährige Werbefotograf zeigt auf die Wände seines Wohnzimmers in St. Pauli: Grau und fleckig bieten sie sich dem Betrachter dar. Vergipste Löcher, alte Farbe – es sieht aus, als sei die Zarenfamilie vor dieser Wand erschossen worden. In der Ecke steht ein verschnörkelter Kachelofen, der Futon ruht auf einem Gestell aus rohem Holz, und Jos Klamotten baumeln an einer Stange unter der Decke.

Der Effekt ist gewollt und auch wieder nicht. „Schönheit kann man nicht produzieren“, findet Jo. Ästhetik habe mit Abnutzung zu tun und damit, daß die Dinge, mit denen er sich umgibt, eine Geschichte haben. „Das ist mit Menschen genau das gleiche“, sagt er, „Kleinkinder finde ich häßlich.“

Um sichtbar zu machen, was an vergangener Zeit in ihrer Mietwohnung steckt, haben Jo und seine Freundin allein in der Küche vier Schichten Tapete von der Wand geholt: Rauhfaser, Rosen, braunrot ineinander verschlungene Popart-Kreise und wieder Blümlein. Links von der Tür kam gleich der Putz mit von der Wand. Auf der unteren Hälfte der Wände trat grüne Ölfarbe zutage und oben ein Anstrich in ocker. Diese Farben haben Jo und seine Freundin restauriert – selbst da, wo unter weggebrochenem Putz die Ziegel grüßen.

Wer allerdings ein Konzept hinter dieser Renovierung vermutet, liegt falsch. „Alles Geplante klappt nicht“, glaubt Jo. Er habe bloß mit den Möglichkeiten gespielt, die seine neue Wohnung bot und versucht, sich zu öffnen für das, was sie nahelegte. „Das nimmt einem natürlich die Befriedigung der eigenen Umsetzung“, räumt er ein.

Dafür entgeht er der Schöner-Wohnen-Falle: „Auch die schönsten Schöner-Wohnen-Einrichtungen haben einen faden Beigeschmack“, findet der Fotograf. Für ihn haben sie nichts mit demjenigen zu tun, der in den Räumen wohnt und auch nichts mit dem Ort, an dem die Möbel scheinbar stimmig zusammengepfropft werden.

Was bei Jo in der Wohnung steht, hat ausschließlich mit ihm und seinem Leben zu tun. Kein Stück außer der Anlage und dem Macintosh-Computer, das er neu gekauft hätte: Das grobe Regal mit den Kameras und Objektiven hat er mitten in der Nacht auf quietschenden Rollen durch die Innenstadt von Ulm/Donau geschoben, den verwitterten Laborstuhl aus dem Keller eines früheren Chefs gemopst.

Es gehe ihm darum, aufmerksam zu sein für seine Umgebung, sagt er. Es kommt darauf an, sich davon überraschen zu lassen, was mit Gegenständen passiert. An der Wand im Badezimmer zum Beispiel kleben nur noch Reste schimmelgrüner Farbe. „Nach jedem Duschen“, sagt Jo zufrieden, „sieht das anders aus.“

Die Dinge, findet er, müssen sich verbrauchen wie das Leben: So wie Jo stolz darauf ist, trotz zwei Schachteln Zigaretten am Tag um die Alster joggen zu können, freut es ihn, daß die Dielen in der Küche allmählich durchgetreten werden. Doch auch von dieser Regel gibt es Ausnahmen: Seit Jahr und Tag liegt eine tote Maus auf dem Fensterbrett in der Küche – frisch wie am ersten Tag, konserviert in Wodka.