Die lahmste Bahn der Republik

■ Untersuchung zeigt: Straßenbahnen brauchen Vorrangschaltung vor Autos. Wartezeiten an Ampeln sind in Berlin am längsten. Scharfe Kritik an Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU)

In Berlin gibt es wieder einmal einen Rekord zu verzeichnen: Die Hauptstadt-Straßenbahnen sind die langsamsten der Republik. Das liegt nicht an veralteter Technik, sondern an den Ampeln: Sie zeigen für die Straßenbahnen meistens das Haltesignal. Der Verein Bürger für bessere Bahnen (BfBB) hat in einer gestern vorgestellten Untersuchung festgestellt, daß jede Straßenbahn am Tag insgesamt zwei Stunden vor roten Ampeln steht – 21 Prozent der Gesamtfahrtzeit. Das sorgt nicht nur für einen höheren Verschleiß der Bahnen, es macht den öffentlichen Nahverkehr auch unattraktiver. Der BfBB und auch BVG-Sprecher Wolfgang Göbel kritisierten Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) für diese Politik deutlich.

Im April hatte der BfBB seine Aktion gestartet: 60 Fahrgäste maßen ein halbes Jahr lang mit Stoppuhren die Wartezeit der Straßenbahnen vor Ampeln. 250 Meßbogen mit insgesamt 1.700 Messungen im gesamten Berliner Stadtgebiet wertete der Verein aus. Das Ergebnis bestätigt die straßenbahnfeindliche Verkehrspolitik von Klemann: Im Schnitt wartet jede Straßenbahn 33,7 Sekunden vor einer Ampel. An einzelnen Ampeln sogar länger als eine Minute. Darüber hinaus differieren die Wartezeiten sehr stark: An der Kreuzung Albertinenstraße in Weißensee schwankte die Wartezeit zwischen fünf und 64 Sekunden. Für die BVG sei es daher kaum noch möglich, genaue Fahrpläne zu erstellen, erläuterte BfBB-Vorsitzender Norbert Gronau. Die Folge sei, daß Straßenbahnen den Anschein erweckten, unpünktlich zu sein.

Abhilfe schafft nach Ansicht des BfBB nur eine klare Vorrangschaltung für Straßenbahnen an Kreuzungen. Die Wartezeit für die Autos erhöhe sich dadurch nicht, sagte Gronau. Das sei in Stuttgart, wo alle Straßenbahnen Vorrang haben, bewiesen worden. Die freie Fahrt für Straßenbahnen sei zudem wirtschaftlicher. Denn wenn die Strecke von einem Endbahnhof zum anderen schneller bewältigt werden kann, müssen weniger Züge auf der Strecke fahren. Das spart Wagen und Personal.

BVG-Sprecher Göbel forderte die baldige Umsetzung der Vereinbarung mit dem Senat, Vorrangschaltungen einzuführen. Die Begünstigung der Straßenbahn gegenüber dem Autoverkehr „ist keine Frage der Partei, sondern der Person“, kritisierte Göbel. Das zeigten die Beispiele Stuttgart und Paris mit ihren konservativen Stadtregierungen. „Jeder Marathonläufer ist mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 17,4 Stundenkilometern schneller als die Berliner Straßenbahn.“ Jutta Wagemann