Auf der Suche nach des Rätsels Lösung

Die Magazine der großen Zeitungen stecken in der Krise. Weil das „Zeitmagazin“ Millionenverluste einfährt, drohte ihm sogar der Exitus. Nun soll Andreas Lebert, Überraschungskünstler der Branche, die Beilage retten  ■ Von Georg Löwisch

Die Begeisterung der Redaktionskonferenz hielt sich in Grenzen. Mit gewohnt ruhiger, konzentrierter Stimme kündigte Roger de Weck, Chefredakteur der Zeit, am Donnerstag nachmittag eine „Projektgruppe“ zur Zukunftsplanung des Zeitmagazins an. Eine Projektgruppe? So wie sie Politiker in Bonn und Brüssel stets einrichten, wenn sie nicht entscheiden wollen? Oft genug hatten die Leitartikler, die an Hamburger Herbsttagen gerne die Republik zu mehr Reformen aufrufen, diesen Mechanismus gegeißelt.

Der Dalai Lama im sperrigen Papierstapel

Der Chefredakteur fuhr fort – und präsentierte unversehens einen Namen, der selbst der trägsten Antragskommission Glanz verleihen würde: Andreas Lebert, einst Chefredakteur des SZ-Magazins, gilt als Ideengeber im deutschen Zeitschriftengeschäft, als Meister der „Wundertüte“, dem journalistischen Erfolgsprinzip des Stern- Gründers Henri Nannen. Der 43jährige soll ab 1. November an der Spitze eines fünfköpfigen Teams einen Ausweg für das Zeitmagazin finden, das von der Krise der Magazinbeilagen in Deutschland am härtesten betroffen ist. „Eine ganz kleine Projektgruppe soll eine Spur legen“, sagt de Weck. Das publizistische Vorauskommando will ohne überflüssige Lastenträger auskommen, die derzeitige Magazinredaktion bleibt ausgeschlossen.

Es geht um viel. Das Magazin ist die einzige Erfrischung, wenn jede Woche vor den 460.000 Zeit-Lesern der sperrige Papierstapel liegt, vollgepackt mit Vorschlägen zur „moderaten Modernisierung“ der Republik oder mit einem Essay zum 350. Jahrestag des Westfälischen Friedens. Im Inneren des Mutterblattes steckt das nicht einmal halb so große Zeitmagazin, dessen farbige Seiten sich angenehm leicht durchblättern lassen. Auf dem Titel steht statt eines Leitartikel nur ein großes Bild, darauf zum Beispiel der Dalai Lama, der herausfordernd lächelt und sagt: „Sie erwarten Wunder? Aber nicht von mir!“

Doch all die publizistische Leichtfüßigkeit nützt derzeit nichts. Das Anzeigengeschäft ist in den letzten Jahren derart eingebrochen, daß das Heft den Stuttgarter Holtzbrinck-Konzern, zu dem die Zeit gehört, jährlich um die sechs Millionen Mark Verlust eintrug. Das wiederum belastet die Arbeit der Redakteure. Sie arbeiten in der Furcht, daß die Holtzbrinck-Manager das Magazin einstellt. Solange zerbrechen sie sich den Kopf darüber, wie sie den drohenden Exitus abwenden können.

Etwas zu erfinden, was nicht nur den Lesern, sondern gleichzeitig den Anzeigenkunden gefalle, sagt Magazin-Leiter Christof Siemes, sei die Quadratur des Kreises. „Daran, daß wir uns schon so lange Gedanken machen, sieht man, daß das nicht sehr einfach ist.“ Auch die Kosten sind schwer zu senken. Schon jetzt kann Siemes Autoren nach eigenen Worten nicht so hohe Honorar bieten wie die unmittelbaren Konkurrenten.

Qualitätsvolle Kür des Anzeigengeschäfts

Eigentlich war es so gut gelaufen mit den Zeitungsmagazinen. Ausgerechnet die Zeit startete 1970 das Geschäft mit ihrer Neugründung, um auch teure Farbanzeigen verkaufen zu können. Inmitten von Qualitätsjournalismus durften die Kunden Qualitätsweine, Parfüms oder Autos qualitätsvoll abbilden: die Kür im Anzeigengeschäft.

Der Plan ging auf. So gut liefen die Geschäfte, daß 1980 die Frankfurter Allgemeine nachzog, 1990 folgte die Süddeutsche Zeitung. Im selben Jahr erreichte das Zeit-Magazin den Rekord von satten 2.017 verkauften Anzeigenseiten.

Schon ein Jahr später schlug die Stimmung auf dem Markt um. Die Werbewirtschaft brauchte Geld, um im aufstrebenden Privatfernsehen Spots zu schalten, dazu bot Helmut Markwort billig Seiten im neugegründeten Focus an. Den Magazinen fehlten plötzlich harte Zahlen, die belegten, wie viele Leser der Hauptblätter tatsächlich auch die Beilagen nutzen. Die Listen der Informationsgesellschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) führten sie nicht eigenständig auf. Da flog die Kür aus dem Programm.

Notgedrungen gründeten FAZ- und SZ-Magazin eine Anzeigen- Allianz, das Zeitmagazin blieb lieber allein. Indes verkaufte das Tageszeitungsduo im ersten Jahr 40 Prozent mehr Anzeigen, auch wenn das Geschäft danach wieder absackte. Dennoch erzielen FAZ und SZ höhere Preise als die Zeit: Eine Seite im FAZ-Magazin kostet fast 35.000 Mark, im SZ-Magazin 32.000 Mark, während die Zeit bloß knapp 30.000 verlangen kann. Gemessen am Anzeigenvolumen liegt das Zeit-Magazin derzeit auf dem dritten und letzten Platz.

Durchhalteparole: Die Leiche lebt noch

Aus der Lähmung wurde Anfang September „furchtbarer Aufruhr“, wie ein Zeit-Mitarbeiter berichtet. Focus meldete, das Magazin sei „am Ende“ und werde eingestellt. Seither wabern wilde Gerüchte. Mal heißt es, zum Jahresende sei Schluß, mal ist die Rede davon, die Beilage gehe im Ressort Modernes Leben oder im Reiseteil auf. Selbst vom Tagesspiegel, der ebenfalls zur Holtzbrinck-Gruppe gehört, kam nur eine zynische Durchhalteparole: „Diese Leiche lebt noch.“

Und jetzt Lebert. Sein Leitspruch lautet: „Man muß den Leser ständig überraschen.“ So einfach dürfte das nicht sein. Einschneidende Veränderungen erregen traditionell Verdacht in einem Haus, in dem Herausgeber Helmut Schmidt schon vor zehn Jahren mahnte, das Magazin dürfe „nicht nur für Yuppies“ gestaltet werden, sondern müsse sich der Unterschiede im „Stilempfinden“ der Zeit-Leser bewußt sein. Außerdem muß die Reform Geld sparen.

Eine Möglichkeit ist jedenfalls verpönt. Die Variante, das Magazin in eine Beilage im Zeit-Großformat zu verwandeln, allenfalls um Farbfotos angereichert, kommt wegen des legendären Rätsels „Um die Ecke gedacht“ nicht in Frage. Die Rätselfreunde, warnt Redaktionsleiter Siemes, würden sich doch „nie mit einer großen Zeitung aufs Klo setzen“.