Wieder in Wilhelmsburg
: Vor zwei Jahren stellte die taz vier Fußballer vom Kreisligisten TSC Viktoria Wilhelmsburg/Veddel vor. Zeit, für einen neuen Besuch auf der Elbinsel

■ Zwei Jahre ist es her, daß Matthias Greulich für die taz die vier Kicker in Wilhelmsburg besuchte. Seither hat sich vieles verändert: Ercan Kurt (oben) spielt nicht mehr bei Viktoria, sondern beim Lokalrivalen Türkgücü, Gezim Smaljaj (links) würde anstatt des deutschen Passes lieber den albanischen annehmen, Oliver Hinz-Weiß (unten) wohnt mangels Geld wieder bei seiner Mutter und Suad Agic (rechts) macht eine Lehre als Tiefbau-Facharbeiter

Jimmy, wie der Kosovo-Albaner Gezin Smaljaj von seinen Mitspielern genannt wird, hat ein sympathisches Lachen. Doch zur Zeit fällt es dem dunkelhaarigen Kellner in einem Restaurant am Gänsemarkt schwer, seinen KundInnen ein Lächeln zu schenken: „Freunde von mir sind bei den Gefechten im Kosovo erschossen worden. Alles, was ich am Monatsende übrig habe, schicke ich an meine Verwandten dort unten“, so der 22jährige. Ein serbischer Angriff hat den Traum der Familie von einer Zukunft im eigenen Haus mit einem Schlag zerstört. Für das Haus im Kosovo hatte der Vater 30 Jahre in Deutschland gearbeitet.

„Gott sei Dank“, so Jimmy, „spiele ich Fußball“. Denn so kann er seine Kumpels zweimal in der Woche sehen und bei Trainer Bodo Blank Dampf ablassen. „Beim Training kann man nach der Arbeit 'mal wieder lachen“, freut sich auch Oliver Hinz-Weiß auf die abendlichen Übungseinheiten. Er und seine Kollegen profitieren dann von den Tips des ehemaligen HSV-Spielers Bodo Blank, der für das Saisonziel des Achtligisten sogar wieder die Fußballstiefel angezogen hat. Deshalb hofft das Team nach zwei vergeblichen Anläufen jetzt endlich den Aufstieg in die Bezirksliga zu schaffen. „Wir haben noch nie so gut gespielt wie jetzt“, freut sich Hinz-Weiß über die Fortschritte beim TSC Viktoria Wilhelmsburg/Veddel, kurz Vikta.

Nur einer der Kollegen hilft nicht mehr mit: Ercan Kurt stürmt mittlerweile in der Landesliga beim Lokalrivalen Türkgücü Wilhelmsburg. Oliver Hinz-Weiß freut sich für Ercan: „Wir glauben, daß er es weiter nach oben schaffen kann.“ Immerhin bekommt der 22jährige jetzt erstmals in seiner Karriere die im Amateurfußball übliche „Aufwandsentschädigung“.

Denn Türkgücü will mit Hilfe des neuen Trainers André Golke, einst Publikumsliebling beim FC St. Pauli, in der nächsten Saison in die Verbandsliga aufsteigen. Schon jetzt ist Kurt, tagsüber Gabelstaplerfahrer in einem Transportunternehmen, einer der letzten Wilhelmsburger bei Türkgücü. Um im Team zu bleiben legt Ercan, der früher nicht gerade einer der lauffreudigsten Viktorianer war, inzwischen Sonderschichten beim Training ein.

Seine drei ehemaligen Mitspieler haben den Traum, mit dem Fußball irgendwann ein paar Mark zu verdienen, hingegen längst aufgegeben. Sie konzentrieren sich auf ihren Beruf. „Ich will meine Ausbildung zum Tiefbau Facharbeiter in diesem Jahr beenden“, erzählt Suad Agic. Dann hofft der junge Bosnier, von seinem Lehrherrn, der Deutschen Bahn AG, übernommen zu werden.

In der Lehre steckt auch Oliver Hinz-Weiß. Vor zwei Jahren arbeitete der Manndecker im Straßenbau, nun lernt er Krankenpfleger. „Ich hatte keinen Bock mehr auf den Bau“, so der 24jährige. Der neue Job ist „zwar auch anstrengend, macht aber mehr Spaß“. Der Nachteil: Die eigene Wohnung wurde zu teuer für den Lehrling. Also mußte Hinz-Weiß notgedrungen wieder zurück zu seiner Mutter ziehen.

Auch die drei anderen wohnen noch auf der Elbinsel und wollen dort nicht weg. Lebendig und ehrlich sei das Leben dort, finden sie. Typisch wilhelmsburgisch sei es, sich gegenseitig zu Bier und Zigaretten einzuladen. „In der Stadt zahlen auch Freund und Freundin ihre Rechnungen getrennt“, wundert sich Gezin Smaljaj über die kühlen Hanseaten nördlich des Flusses. Daß die Hamburger ihren Stadtteil trotz der vom Senat finanzierten Imagekampagne „Hauptsache Wilhelmsburg“ weiterhin als „Elendsinsel“ schmähen, können die Kollegen schon gar nicht verstehen.

So wurde in der TV-Vorabendserie „Einsatz Hamburg Süd“ an Wilhelmsburger Schauplätzen geballert und gedealt, daß es jedem Hinterhof in der Bronx zur Ehre gereicht hätte. Die Serie fand Oliver Hinz-Weiß „total verhauen“. Der Fußballer von Vikta kann das beurteilen: er spielte als Statist mit. Alle bekräftigen unisono, daß es in punkto Gewalt ruhig geworden sei in Wilhelmsburg: „Jeder macht hier jetzt sein Ding, und zwar friedlich“, so Ercan Kurt. Er und Suad haben eine feste Freundin, Jimmy und Olli sind derzeit solo. Und alle gehen nicht mehr so häufig weg. „Wir sind halt erwachsener geworden“, muß Jimmy lachen. Auf den seltenen Disco-Besuchen hören die Kollegen gerne „Black Music“, während nach Siegen im Klubhaus Schlager à la Wolfgang Petry für Stimmung sorgen.

Wie sieht es mit dem Doppelpaß aus? Bei dem kollektiven Aufreger der letzten Monate wird nur der äußerlich so ruhige Suad Agic lebendig: „Wenn es nicht Streit zuhause geben würde, hätte ich vielleicht schon längst den deutschen Paß!“ Der in Wilhelmsburg geborene Bosnier fühlt sich fremd in Sarajewo. „Da kommen die Deutschen“, sagen die Nachbarn, wenn Suad und sein Bruder Sead zu Besuch dort sind. Ercan möchte hingegen erst einmal Türke bleiben. Sein deutscher Freund Olli findet es normal, daß „jeder, der hier lebt und Steuern zahlt, Deutscher werden kann“. Jimmy hat immer noch den jugoslawischen Paß, doch „wenn ich eine Chance auf albanische Papiere hätte, dann würde ich die sofort nehmen“. Matthias Greulich

Fotos: Stephan Pflug